Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Definition des Kilogramms hat jetzt das internationale Avogadro-Projekt erreicht. Den Forschern gelang es mit Hilfe eines Einkristalls aus hochangereichertem Silizium-28, die Avogadro-Konstante so genau wie nie zuvor zu bestimmen. Da diese die Teilchenzahl bei bekanntem Volumen und Masse angibt, könnte sie in der Umkehrung zu einer fundamentalphysikalischen Neudefinition des Kilogramms genutzt werden. Der jetzt in den „Physical Review Letters“ veröffentlichte Wert verfehlte zwar die Genauigkeitsvorgaben knapp, ist aber ein wichtiger Fortschritt hin zu einem neuem „Urkilo“.
Das Kilogramm ist die einzige Größe, die nicht über eine fundamentale Konstante der Physik bestimmt wird. Stattdessen bildet seit 1888/1889 das „Urkilogramm“ – ein Zylinder aus einer Legierung von 90 Prozent Platin und zehn Prozent Iridium – den weltweit einzigartigen Referenzwert für die Maßeinheit. Es wird in einem Tresor des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) in Sèvres bei Paris aufbewahrt. Weltweit wird jedoch daran gearbeitet, das Kilogramm so neu zu definieren, dass es nun auch von einer Fundamentalkonstanten der Physik abgeleitet werden kann.
Genaueste Avogadro-Konstante gesucht
Eines dieser Projekte ist das von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig koordinierte, langjährige Avogadro-Projekt. Dabei soll eine neue Definition über die so genannte Avogadro-Konstante erreicht werden. Diese gibt bei bekannter Masse und Volumen eines Körpers die Teilchenzahl an. In der Umkehrung lässt sich die Masse eines Körpers bestimmen, wenn man die genaue Teilchenzahl für ein Volumen eines Stoffes kennt. Eine ausreichend genaue Bestimmung der Teilchendichte ist jedoch nur durch Röntgenkristallografie möglich, Voraussetzung dafür ist ein aus nur einem einzigen Kristall bestehender Körper.
International koordinierte Mehrfachmessungen
Einen solchen Einkristall aus hochangereichertem, 99,9-prozentigem Silizium-28 hat das Avogadro-Projekt inzwischen erzeugt. Inzwischen sind erste Messungen an den zwei in Australien polierten Ein-Kilogramm-Kugeln aus Silizium-28 abgeschlossen und ihre Dichte, Gitterparameter und Oberflächenbeschaffenheit bestimmt worden.
Den Gitterparameter maßen Wissenschaftler am italienischen Metrologieinstitut (INRIM) mittels eines Röntgeninterferometers und bestätigten ihn durch Vergleichsmessungen mit einem natürlichen Si-Kristall. Das Kugelvolumen bestimmten Forscher mehrerer Institute unabhängig voneinander optisch mit Interferometern unterschiedlicher Strahlgeometrien – mit exzellenter Übereinstimmung. Die Oberflächenschicht wurde mit Elektronenen-, Röntgen- und Synchrotronstrahlung nach unterschiedlichen Verfahren spektroskopiert, analysiert und bei der Bestimmung der Siliziumdichte berücksichtigt.
Geforderte Genauigkeit knapp verfehlt
Das Ergebnis: Es gelang den Forschern in einer internationalen Zusammenarbeit, die Teilchendichte und damit die Avogadrosche Zahl der Siliziumkugeln bis auf eine Genauigkeit von 3 mal 10 hoch -8 zu bestimmen. Das allerdings liegt noch um den Faktor 1,5 über der vom Beratenden Komitee für die Masse für eine Neudefinition des Kilogramms verlangten 2 mal 10 hoch -8. Eine Ursache ist vermutlich die beim Polierprozess entstandene unerwartet hohe metallische Kontamination der Kugeloberflächen mit Kupfer- und Nickelsiliziden. Sie wurden zwar gemessen und ihr Einfluss auf die Ergebnisse von Kugelvolumen und -masse abgeschätzt, dennoch führte dies zu einer höheren Messunsicherheit.
Aber auch wenn die Ergebnisgenauigkeit als Definition des Urkilogramms noch nicht ausreicht, ist sie dennoch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Kilogrammdefinition auf der Basis einer Fundamentalkonstanten. Der gegenwärtige Status des Avogadro-Projekts ist laut Angaben der Forscher so vielversprechend, dass auf der Basis neuer Messungen mit verbesserten Kugelinterferometern an kontaminationsfreien Kugeln in naher Zukunft die verlangte Messunsicherheit von 2 mal 10 hoch -8 erreicht und voraussichtlich sogar unterschritten werden kann. (Phys. Rev. Lett., 2010; doi:10.1103/PhysRevLett.106.030801)
(Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), 11.02.2011 – NPO)