Physik

Das Neutrino – sein eigenes Antiteilchen?

„Gerda“-Experiment beginnt die Suche nach neutrinolosem Doppel-Betazerfall

Neutrino-Experiment Gerda © Max-Planck-Gesellschaft

In einem Labor unter dem italienischen Gran-Sasso-Massiv wurde jetzt das neue Neutrino-Experiment „Gerda“eingeweiht. Mit ihm wollen Physiker die Frage klären, ob das Neutrino sein eigenes Antiteilchen ist. Dann könnten sich Neutrinos untereinander gegenseitig vernichten, analog etwa zu einem Proton und einem Antiproton. Mit dem Experiment wollen die Forscher ferner die Masse des schwer nachweisbaren Teilchens erstmals direkt bestimmen.

Neben den Photonen sind Neutrinos die häufigsten Teilchen im Universum. Jedoch sind sie zugleich sehr schwer nachweisbar, da sie nur schwach mit der übrigen Materie wechselwirken. Allgemeine theoretische Überlegungen der Elementarteilchenphysik sagen voraus, dass Neutrinos mit ihren eigenen Antiteilchen identisch sind und eine sehr kleine, aber dennoch endlich große Masse besitzen. Das Gerda-Experiment hat nun das Ziel, diese Eigenschaften zu überprüfen, indem nach dem sehr seltenen neutrinolosen Doppel-Betazerfall gesucht wird.

Löschen sich Neutrino gegenseitig aus?

In diesem Zerfall wandeln sich zwei der Neutronen eines Germanium-Atomkerns in zwei Protonen um, wobei zwei Elektronen und zwei Neutrinos entstehen. Sind letztere ihre eigenen Antiteilchen, so können sie sich intern gegenseitig auslöschen und es werden lediglich die Elektronen freigesetzt. Die Beobachtung eines solchen neutrinolosen Doppel-Betazerfalls würde gleichzeitig direkt die Bestimmung seiner Masse erlauben. Der Wert dieser Masse ist von großer Bedeutung für die Astrophysik und für kosmologische Modelle, speziell was die Asymmetrie von Teilchen und Antiteilchen im frühen Kosmos sowie die Bildung von Galaxien und Galaxienhaufen angeht.

Extreme Abschirmung

Doch der neutrinolosen Doppel-Betazerfall ist so selten, dass es einer langen, sorgfältigen und ausgefeilten Beobachtung bedarf, um ihn nachzuweisen. Er ist wie ein einzelner unauffälliger und sehr leiser Ton in einem Konzert, der nur zu leicht von Hintergrundgeräuschen überdeckt wird – und hierzu bedarf es einer perfekten, nach außen abgeschirmten Akustik: kein Zivilisationslärm darf nach innen dringen, und sämtliche Technik muss geräuschlos funktionieren.

Genau diese Bedingungen soll nun das am 9. November 2010 eingeweihte Experiment Gerda („Germanium Detectos Array“) unter 1.400 Meter Fels des Gran-Sasso-Massivs im Herzen Italiens bieten. Gerda ist eine internationale Kollaboration unter Beteiligung von 15 Instituten aus Deutschland, Italien, Russland, der Schweiz, Polen und Belgien. In seiner „Akustik“, mit einer gleich einer Matrjoschka-Puppe ineinander geschachtelten Anordnung, schützen flüssiges Argon, hochreines Wasser und massiver Fels den charakteristischen Ton des Zerfalls vor der Kakophonie aus Milliarden von Teilchen aus den Tiefen des Universums, dem Gestein des Massivs und der Detektorstruktur selbst.

Germanium-Einkristall als Quelle und Detektor

Das Experiment startet mit acht Detektoren von jeweils zwei Kilogramm Masse und der Größe einer Getränkedose. In einer zweiten Phase wird es mit weiteren Detektoren ausgestattet. Die Detektoren bestehen aus hochreinen Germanium-Einkristallen, die mit dem Isotop Germanium 76 angereichert sind. Die beim Doppel-Betazerfall dieses Isotops ausgesendeten Elektronen geben ihre Energie unmittelbar in dem Kristall ab, der somit für diesen Zerfall zugleich als Quelle und Detektor dienen kann.

Die Gerda-Kristalle sind in einem sechs Meter hohen und vier Meter weiten Tank (Kryostat), gefüllt mit flüssigem Argon einer Temperatur -186°Celsius aufgehängt. Der Kryostat wiederum befindet sich in einem neun Meter hohen Wassertank von zehn Metern Durchmesser, der für weitere Abschirmung sorgt. Der kosmische „Hintergrundlärm“ wird damit vom Gebirge über dem Labor abgefangen und die geschachtelte Struktur schirmt die Kristalle gegen die Strahlung aus dem Gestein und den großen Detektorstrukturen ab.

(Max-Planck-Gesellschaft, 11.11.2010 – NPO)

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