Sie ist 1.483 Quadratkilometer groß und hat rund 14 Millionen (Mio.) Einwohner – Tendenz stark steigend. Delhi zählt zu den am schnellsten wachsenden Megastädten der Welt. Aktuellen Prognosen zufolge könnten bis zum Jahr 2021 sogar 23 Mio. Menschen in der nach Mumbai und Kolkata drittgrößten Stadt Indiens leben. Die Gründe für das explosionsartige Stadtwachstum seit der Unabhängigkeit 1947 sind riesige Migrantenströme und ein ungebrochen hohes natürliches Bevölkerungswachstum.
„Dieser Entwicklung konnte die Stadt, die einst für 1,4 Mio. Einwohner geplant wurde, nicht standhalten. Ungeplantes Wachstum mit zahlreichen informellen Siedlungen, eine starke Zersiedelung des Stadtgebietes und eine überlastete Infrastruktur waren und sind die Folgen“, sagt Veronika Selbach vom Geographischen Institut der Universität zu Köln.
Dies gilt insbesondere für die Wasseraufbereitung, Verteilung und Entsorgung, für die von städtischer Seite das Delhi Jal Board (DJB) zuständig ist. So liegt die Förderleistung der Wasserwerke und Pumpstationen momentan bei circa 2.600 Mio. Litern Wasser pro Tag. Daraus ergibt sich laut DJB eine Versorgungslücke von 47 Prozent (%), die laut Prognose bis 2021 aber noch auf 57% anwachsen wird.
„Auch die Differenz zwischen anfallender Abwassermenge und den Klärkapazitäten ist eklatant. Sie liegt offiziellen Angaben zufolge bei 44% und soll bis 2021 sogar auf 65% steigen“, erläutert Reena Singh, die ebenfalls am Geographischen Institut der Universität zu Köln tätig ist.
Streit um Wasser
Delhis Wasser stammt zu knapp 90% aus den Flüssen Yamuna (37,5%), Beas (33,4%) und Ganges (18,3%). Jeder zehnte Liter wird darüber hinaus durch Grundwasserentnahme gedeckt. Da die Stadt jedoch ein Unteranlieger an der Yamuna ist, beziehungsweise über Kanäle mit Beas- und Gangeswasser versorgt wird, ist sie vollständig von den Zuleitungen aus den Nachbarstaaten Haryana (Yamuna) und Uttar Pradesh (Ganges) sowie Punjab (Beas) abhängig. „In den vergangenen Jahren kam es daher immer wieder zu Konflikten um die zugeteilte Wassermenge, obwohl diese seit 1994 vertraglich festgelegt ist“, erklärt Selbach.
Innerhalb der Stadt selbst hängt die Versorgung vom Legalitätsgrad der Siedlung ab. So lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung in informellen Siedlungen, die nicht an das städtische Wassernetz angeschlossen sind. Die Menschen dort verfügen deshalb weder über eine geregelte Wasserversorgung noch über eine hygienische Wasserentsorgung. Öffentliche Wasseranschlüsse, Handpumpen oder Wassertanker sollen stattdessen ein Mindestmaß an Versorgung garantieren.
„Der Grundbedarf kann jedoch nur durch zusätzliche, individuelle und teilweise unerlaubte Maßnahmen sichergestellt werden“, beschreibt Selbach die tatsächliche Situation vor Ort. „Die Entsorgung erfolgt überwiegend über offen geführte Kanäle (nali) – sei es legal oder illegal – sowie die Anlage von Klärtanks, wenn keinerlei Anschluss zur Abwasserentsorgung vorhanden ist“, ergänzt Singh.
Marode Leitungen, illegale Wasserzapfer
Doch auch in den geplanten Stadtteilen ist die Lage aufgrund eines unzureichend ausgebauten, überforderten und schlecht gewarteten Leitungssystems oft mangelhaft, und zusätzliche Maßnahmen zur Versorgungssicherung sind auch hier unumgänglich. Immerhin verfügen diese Viertel jedoch über das Privileg einer geschlossenen Kanalisation. „Die Abwasserleitungen sind aber meist marode und erfüllen nur selten hundertprozentig ihren Zweck“, so Singh.
Erschwert wird die Situation noch dadurch, dass die Wasserwerke der Stadt ausnahmslos im Norden und Osten liegen und ein Großteil der Wassermenge bereits in Werksnähe aus den Leitungen entnommen und verbraucht wird. Insbesondere die renommierten Viertel wie der Verwaltungsbezirk der New Delhi Municipal Corporation im Stadtzentrum erhalten bis zu 500 Liter pro Person täglich, während den Menschen in einigen Gebieten, vor allem am westlichen und südlichen Stadtrand, oft nur noch einen Bruchteil dieser Menge (29 bis 31 Liter pro Kopf am Tag) zur Verfügung steht.
Kein Wunder, dass die illegale Förderung von Grundwasser insbesondere im Süden der Stadt an der Tagesordnung ist, um den Bedarf zu decken – doch vielleicht schon nicht mehr lange: Denn die ständig steigenden Entnahmemengen haben zu einem rapiden Absinken des Grundwasserspiegels in den vergangenen Jahrzehnten geführt.
Trinkwasser in der Krise
Zu einer weiteren Verschärfung der Wasserkrise trägt eine zunehmende Grundwasserverschmutzung bei. „Untersuchungen des Central Pollution Control Board in Delhi haben ergeben, dass die Salzhaltigkeit des Wassers im Süd- und Nordwesten der Stadt deutlich zugenommen hat“, sagt Selbach.
Weitere Studien belegen darüber hinaus eine steigende Anreicherung mit Fluoriden und anderen Chemikalien in verschiedenen Teilen des Stadtgebietes, die die zulässigen Grenzwerte überschreitet. „In den betroffenen Siedlungen musste deshalb das Grundwasser, insbesondere das Uferfiltrat der Yamuna, für nicht trinkbar erklärt werden“, so die Geographin weiter.
Mitschuld an der zunehmenden Wasserverschmutzung ist die mangelhafte Klärung der Abwässer. Insgesamt fallen in der Stadt täglich 3.267 Mio. Liter davon an. Die Klärwerke sind jedoch bereits mit 2.330 Mio. Litern am Tag völlig ausgelastet. Dennoch arbeiten sie aufgrund fehlender Kanalisation in Teilen Delhis nur mit etwas mehr als „halber Kraft“.
„Gerade mal 1.446 Millionen Liter Abwässer werden tatsächlich täglich aufbereitet, der Rest fließt ungeklärt in die Yamuna – mit den entsprechenden ökologischen Folgen“, konstatiert Singh. So trägt Delhi, obwohl der Anteil der Stadt nur 2% des Wassereinzugsgebiets der Yamuna einnimmt, zu 80% zur Verschmutzung des Flusses bei.
Häufig wird zudem das Leitungswasser durch undichte Anschlüsse, Unterdruck in den Leitungen und gebrochene beziehungsweise leck geschlagene Verbindungen mit Abwasser verschmutzt. Eindringende Keime und Bakterien mindern dann die Qualität stark – ganz zu schweigen von dem daraus resultierenden hohen Wasserverlust von bis zu 40%.
Mangelnde Hygiene erzeugt Krankheiten
Zu wenig frisches Trinkwasser, marode Leitungen, ungeklärte Abwässer: Die Auswirkungen der unzureichenden Wasserver- und Entsorgung sind vor allem in den informellen Siedlungen dramatisch. Unhygienische Bedingungen sind Standard – einschließlich der daraus resultierenden Krankheiten. Diese reichen von Durchfällen über Hepatitis, Denguefieber bis hin zu Malaria, da die offenen Kanäle ideale Brutstätten für die krankheitsübertragenden Mücken darstellen.
„Diese Situation verschlimmert sich jedes Jahr noch während der Monsunmonate. Hinzu kommen überschwemmte Stadtteile, da die Kanäle die zusätzlichen Wassermassen nicht fassen können, und das städtische Leben teilweise für mehrere Tage zum Erliegen kommt“, sagt Singh.
Ein Masterplan für Delhi?
Doch trotz der massiven Probleme gibt es noch Hoffnung für die Megastadt Delhi und seine Bewohner – so scheint es zumindest. Denn die Wasserkrise hat die verantwortlichen Politiker und Behörden dazu veranlasst, neue Wege und Möglichkeiten des Wasser- und Abwassermanagements zu suchen und auch zu realisieren.
So werden zurzeit gemeinsam mit anderen indischen Bundesstaaten im Himalaja neue Staudämme geplant, um die Wassermenge in Zukunft erhöhen und eine stabilere Versorgungssituation zu schaffen. Das DJB wirbt – in Zusammenarbeit mit namhaften Nicht-Regierungsorganisationen – aber auch für alternative, ökologische Methoden der Wasserversorgung. Dazu gehören unter anderem das Speichern von Regenwasser (rain water harvesting) und die Nutzung von recyceltem Wasser für die Bewässerung von Grünanlagen oder zur Spülung der Toiletten.
(Veronika Selbach und Reena Singh, Geographisches Institut der Universität zu Köln, 08.02.2008 – DLO)