Neurobiologie

Dem Gehirn beim Sehen zugeschaut

Untersuchungen an Affen liefern überraschende Ergebnisse

Ohne Aufmerksamkeit ist es uns allen nicht möglich, mit der Umwelt zu interagieren. Speziell beim Sehen ist Aufmerksamkeit absolut notwendig, um Sinneseindrücke sinnvoll zu verarbeiten und am Ende des Verarbeitungsprozesses Personen oder Objekte wahrzunehmen. Bremer Forscher haben nun dem Gehirn von Affen beim Sehen aufmerksam zugeschaut und dabei überraschende neue Erkenntnisse gewonnen, über die sie jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Neuroscience“ berichten.

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Obwohl Aufmerksamkeit ein grundlegender Mechanismus der Informationsverarbeitung im Gehirn ist und Aufmerksamkeitsstörungen bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen große Probleme für die Patienten nach sich ziehen, sind die neuronalen Mechanismen von Aufmerksamkeit – insbesondere in der frühen Verarbeitung von Seheindrücken – bislang nur unzureichend verstanden.

Fachübergreifendes Projekt

Wie wirkt sich visuelle Aufmerksamkeit auf die Sprache des Gehirns – also die Signale, mit denen die Gehirnzellen untereinander Information austauschen – aus? Dieser Frage sind Forscher der Universität Bremen aus Neurobiologie und theoretischer Physik in einem fachübergreifenden Projekt gemeinsam nachgegangen.

Um die zugrunde liegenden Mechanismen zu untersuchen, wurden Makaken darauf trainiert, komplizierte Linienfiguren zu betrachten und sie dann entweder aufmerksam zu beobachten oder zu ignorieren.

„Machine Learning“

Die dabei gemessenen Aktivitätsmuster der Gehirnzellen wurden mit Methoden des „Machine Learning“ (Maschinenlernen) – das heißt der automatisierten Suche nach verborgenen Regelmäßigkeiten in großen Datenmengen durch ein Computerprogramm – daraufhin untersucht, wie viel Information in diesen Signalen über die Figuren enthalten ist und ob die Informationsmenge von Aufmerksamkeit abhängig ist.

Normalerweise kommen Techniken des Machine Learning beim Erkennen von Kreditkarten-Betrug, bei der Aktienmarktanalyse oder in der medizinischen Diagnostik zum Einsatz. Wie die Bremer Wissenschaftler im Journal of Neuroscience zeigen, lassen sich diese Methoden aber auch erfolgreich zur Untersuchung des Phänomens Aufmerksamkeit nutzen.

Signale verraten, welche Linienfiguren gesehen werden

Die Forschungen zeigen zwei Hauptergebnisse: Einerseits ist es mit diesen Methoden möglich, dem Gehirn beim Arbeiten sehr genau zuzuschauen – und zwar so genau, dass aus den Signalen abgelesen werden kann, welche Strichfiguren gerade gesehen wurden. Dabei ließen sich die untereinander recht ähnlichen Figuren in bis zu 93 Prozent der Fälle anhand der gemessenen elektrischen Hirnaktivität richtig identifizieren.

Andererseits verändert Aufmerksamkeit die Hirnaktivität, so dass diese Identifikation bei aufmerksam beobachteten Mustern erfolgreicher ist als bei Mustern, auf denen keine Aufmerksamkeit ruht.

Genau diese Veränderung der Hirnsignale erfolgt jedoch auf eine völlig überraschende Art und Weise. Das Gehirn fährt nicht etwa andere Störeinflüsse einfach herunter oder blendet sie aus. Vielmehr werden die zu den unterschiedlichen Mustern gehörenden „Fingerabdrücke“ in der Hirnaktivität aktiv verändert, so dass sie sich deutlicher voneinander unterscheiden.

Ergebnisse für konkrete medizinische Anwendungen nutzbar

Neben dem besseren Verständnis der grundlegenden Funktionsweise des Gehirns als Basis für Fortschritte in Verständnis und Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sind auch konkrete medizinische Anwendungsmöglichkeiten eine wichtige Antriebsfeder für die Bremer Forschungen auf diesem Gebiet.

Ein Ziel der Wissenschaftler ist die Schaffung einer zentralen Basis für funktionelle Neuroprothesen. Dabei geht es um so genannte Brain Computer Interfaces (BCI) – eine Technologie, mit der die elektrische Hirnaktivität eines Menschen detailliert gemessen werden kann, um aus den Signalen auf Aktions- und Kommunikationswünsche zu schließen (Gedanken lesen). Ein solches System soll beispielsweise vollständig gelähmten Personen ermöglichen, mit ihrer Umwelt wieder zu kommunizieren und Geräte und Hilfseinrichtungen zu kontrollieren, um so ein Stück Autonomie ins Leben zurückzubringen.

Die „Sprache des Gehirns“ enträtseln

Unerlässlich für den Bau einer robusten und sicheren Schnittstelle zwischen der Gedankenwelt des Patienten und einem Computersystem ist dabei, die „Sprache des Gehirns“ zu enträtseln. Deshalb versuchen die Bremer Wissenschaftler abweichend von den in diesem Forschungsbereich herkömmlichen Ansätzen, die Sehhirnrinde als Signalquelle zur Verarbeitung von Seheindrücken zu verwenden.

Im Journal of Neuroscience haben die Forscher demonstriert, dass die vom Sehsystem erzeugten elektrischen Hirnsignale willentlich – eben durch die untersuchte selektive visuelle Aufmerksamkeit – verändert werden können. Sie könnten somit als ein Kontrollsignal für die beschriebenen medizinisch-technischen Anwendungen genutzt werden. Eine weiterführende Untersuchung dazu wird zurzeit durchgeführt. Sie ist ein wichtiger Teil der aktuellen neuro-technologischen Initiative der Universität Bremen.

(idw – Universität Bremen, 13.08.2009 – DLO)

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