Physik

Der seltenste Zerfall des Universums

Doppelter Elektroneinfang von Xenon-124 hat eine Halbwertszeit von 18 Trilliarden Jahren

Doppelter Elektroneneinfang
Forscher haben erstmals einen doppelten Elektroneneinfang beim Xenon-124 detektiert – diese Zerfallsform hat bei diesem Element eine Halbwertszeit von 18 Trilliarden Jahren. © scinexx

Eigentlich soll der XENON1T-Detektor die Dunkle Materie enträtseln. Doch stattdessen hat er nun den seltensten Zerfall des Universums registriert – den doppelten Elektroneneinfang des Xenon-124-Isotops. Mit 18 Trilliarden Jahren hat dieser Isotopenzerfall eine Halbwertszeit, die weit länger ist als die gesamte Dauer des Universums, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Erst jetzt ist dieser Zerfall daher erstmals nachgewiesen worden.

Die meisten radioaktiven Atome zerfallen in den verschiedenen Varianten des Betazerfalls. Dabei wird ein Neutron im Atomkern zum Proton und gibt dabei ein Elektron und ein Antineutrino ab. Doch einige Elemente besitzen auch eine sehr seltene Zerfallsform, bei der ein Proton unter Elektronenaufnahme zum Neutron wird. Beim Isotop Xenon-124 kann dies nur geschehen, wenn gleich zwei Elektronen aus der Atomhülle in den Atomkern gezogen werden.

Ein doppelt seltenes Ereignis

Doch nachgewiesen wurde dieser doppelte Elektroneneinfang beim Xenon noch nie – bis jetzt. Der einfache Grund dafür: Xenon-124 hat eine Halbwertszeit von mehr als zehn Billiarden Jahren – das ist länger als das Alter des Universums. Bei diesem Isotop überhaupt einen Zerfall zu beobachten, ist daher ein extrem seltener Glücksfall. Hinzu kommt: Der doppelte Elektroneneinfang bei diesem Element ist nur dann möglich, wenn zwei Elektronen zur richtigen Zeit nahe genug am Atomkern sind.

„Damit haben wir quasi ein seltenes Ereignis mit einem zweiten seltenen Ereignis multipliziert – was das Ganze ultrarar macht““, erklärt Ethan Brown vom Rensselaer Polytechnic Institute in New York. Doch genau dieses ultrarare Ereignis haben die Forscher von der XENON-Kollaboration jetzt erstmals nachgewiesen. „Das zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial in unserer Messmethode steckt – auch für Signale, die nicht von Dunkler Materie herrühren“, sagt Studienleiter Christian Weinheimer von der Universität Münster.

Lichtblitze im Dunkle-Materie-Detektor

Der Nachweis gelang mithilfe eines Detektors, der eigentlich nach „Weakly Interacting Massive Particles“ (WIMP) suchen soll – möglichen Teilchen der Dunklen Materie. Dafür ist der unterirdische XENON1T-Detektor unter dem italienischen Gran-Sasso-Massiv mit rund 1,4 Tonnen hochreinem flüssigen Xenon gefüllt. Hochempfindliche Photosensoren in den Wänden dieses abgeschirmten Tanks detektieren winzige Lichtblitze, die bei der Interaktion der Xenonatome mit passierenden Teilchen entstehen.

Doch als die Forscher die Daten des Detektors vom Februar 2017 bis Februar 2018 ausgewerteten, stießen sie auf Lichtblitze, die nicht von einer Teilchenpassage stammen konnten. „Sie passten zu keiner Hintergrundquelle, die wir kennen“, erklärt Christopher Tunnell von der Rice University. Stattdessen sprach der Energiegehalt dieser Strahlung dafür, dass sie aus der Hülle der Xenon-Atome kommen musste.

XENON1T
Photosensoren des XENON1T-Detektors. © XENON1T

Kollaps in der Atomhülle

Nähere Analysen ergaben: Die ungewöhnlichen Lichtblitze im Xenon-Tank mussten aus dem Zerfall des Xenon-124 stammen – und auf den seltenen doppelten Elektroneneinfang zurückgehen. „Bei diesem Prozess werden Elektronen aus der innersten Schale der Atomhülle entfernt“, erklärt Brown. Die dadurch entstehenden Lücken werden von weiter außen kreisenden Elektronen aufgefüllt. Bei diesem sukzessiven Nachrücken geben die Elektronen Energie in Form von Röntgenlicht ab. Dieses Licht hat der Detektor nun eingefangen.

„Damit sind wir erstmals Zeugen dieses Zerfalls geworden“, sagt Brown. „Das ist der langsamste, längste Prozess, der jemals direkt beobachtet wurde.“ Ihren Berechnungen zufolge liegt die Halbwertszeit für den Zerfall von Xenon-124 durch den doppelten Elektroneneinfang bei 18 Trilliarden Jahren – eine unvorstellbar lange Zeit. Diesen Prozess trotzdem zu beobachten gelang nur, weil im Tank des XENON1T-Detektors so viele Xenon-Atome enthalten sind.

Der Nachweis dieses extrem seltenen Zerfalls erlaubt es Kernphysikern nun, ihre Strukturmodelle für schwere Atomkerne zu überprüfen, wie die Forscher erklären. Zudem demonstriere dies, dass Xenon-basierte Detektoren für die Dunkle Materie auch gut geeignet sind, um andere seltene Prozesse einzufangen. Aktuell bauen die Wissenschaftler das Experiment für die neue Phase XENONnT um, bei der die aktive Detektormasse verdreifacht wird. Zusammen mit einer weiteren Unterdrückung von Störsignalen wird dies den Detektor um eine Größenordnung empfindlicher machen. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1124-4)

Quelle: Rice University, Rensselaer Polytechnic Institute

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