Verblüffender Wechsel: Normalerweise ist der Diamant ein effektiver Isolator – er leitet keinen Strom. Doch das ändert sich, wenn man dünne Diamantnadeln biegt: Der Kohlenstoffkristall wird dadurch erst zum Halbleiter, dann sogar zum effektiven Stromleiter, wie Forscher herausgefunden haben. Dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten, Nanodiamanten in verschiedensten Elektronik-Anwendungen einzusetzen.
Diamanten sind nicht nur begehrte Edelsteine, ihr kompaktes Kohlenstoffgitter macht sie auch zum härtesten natürlichen Material. Das Kristallgitter kann starkem Druck problemlos standhalten, ist dafür aber im Normalfall eher spröde als elastisch. Das jedoch ändert sich im Nanomaßstab: Formt man aus dem Edelstein dünne Diamantnadeln von nur 300 Nanometern Länge, lassen diese sich erstaunlich weit biegen, wie Wissenschaftler 2018 entdeckten.
Bandlücke schrumpft beim Biegen
Doch das ist nicht alles: Beim Biegen verändern sich auch die elektrischen Eigenschaften des Diamants fundamental, wie nun Zhe Shi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen herausgefunden haben. Normalerweise leitet ein Diamant keinen Strom – er ist ein effektiver Isolator. Der Grund dafür ist eine breite Bandlücke von 5,6 Elektronenvolt (eV) , die die Kohlenstoffelektronen erst nach Zufuhr von relativ viel Energie aus dem Verbund löst und zu Ladungsträgern macht.
Das ändert sich jedoch, wenn man eine Diamantnadel verbiegt. Die Verformung verschiebt die Atome im Kristallgitter leicht gegeneinander und verändert dadurch auch die Bandlücke. Je stärker die Nadel gebogen wird, desto kleiner wird sie – und desto beweglicher werden die Elektronen im Diamant. Dadurch wandelt sich der Diamantkristall vom Isolator zum Halbleiter und schließlich zum Stromleiter, wie sich im Experiment zeigte.
Vom Nichtleiter stufenlos zum Stromleiter
Das bedeutet: Allein durch Verbiegen lässt sich Diamant vom nichtleitenden Material in einen Stromleiter umwandeln – er wird metallisiert. „Unsere Entdeckung belegt, dass diese reversible Metallisierung/Demetallisierung von Nanodiamanten durch entsprechenden Anpassung der mechanischen Last und Geometrie machbar ist“, konstatieren Shi und sein Team. Die Bandlücke des Diamants lasse sich dadurch von 5,6 Elektronenvolt stufenlose bis auf Null senken.
Nähere Analysen und Modellierungen bestätigten, dass diese „Verwandlung“ des Diamantkristalls reversibel ist und keinerlei chemischen Veränderungen verursacht. Erst wenn die maximale Biegefähigkeit überschritten wird und der mechanische Druck zu groß wird, bricht das Gitter oder wandelt sich von der Diamantstruktur in Graphit um.
Maßgeschneidert für viele Anwendungen
Das Spannende daran: Durch diese mechanische Kontrolle der elektrischen Eigenschaften lässt sich der Diamant an nahezu alle denkbaren elektronischen Anwendungen anpassen. Nach Angaben des Teams könnten solche Diamantnadeln beispielsweise in der Quantentechnologie und Photonik eingesetzt werden, als Photodetektoren oder auch in der biomedizineschen Bildgebung.
„Je nach Biegung kann man dem Diamanten die Bandlücke des gängigen Halbleiters Silizium verleihen oder des in LEDs eingesetzten Galliumnitrids“, sagt Shis Kollege Ju Li. „Man kann ihn auch zu einem Infrarotdetektor machen oder zu einem Lichtsensor, der das gesamt Spektrum vom Infrarot bis zum Ultraviolett abdeckt.“ Dadurch, dass die elektrische Leitfähigkeit des Diamants gezielt verändern werden kann, eröffne sich eine beispiellose Chance, dem Kristall maßgeschneiderte Funktionen zu verleihen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.2013565117)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology (MIT), Nanyang Technological University