Mathematik

Die „Null“ ist viel älter als gedacht

Indisches Manuskript mit ältestem Null-Symbol stammt bereits aus dem 3. Jahrhundert

Blick auf eine Seite des rund 1.700 Jahre alten Bakshali-Manuskripts. In ihm stehen Punkte für die Null. © University of Oxford Bodleian Library

Ein Symbol für das Nichts: Die Idee der Null als eigenständiger Zahl ist weit älter als bisher gedacht. Denn indische Mathematiker nutzten schon vor gut 1.700 Jahren einen Punkt als Nullsymbol – 500 Jahre früher als bisher angenommen. Den Beleg dafür liefert eine neue Radiokarbondatierung des ältesten bekannten Lehrwerks der indischen Mathematik, des Bakshali-Manuskrips. Aus den in ihm verwendeten Null-Punkten entwickelte sich später unser rundes Nullsymbol.

Sie ist für uns heute selbstverständlicher Teil des Zahlenraums – und in der Informatik ist sie sogar unverzichtbar: die Null. Sie kennzeichnet einerseits eine leere Menge, anderseits aber bestimmt ihre Position den Wert einer Zahl. Doch längst nicht in allen frühen Kulturen gab es schon eine solche „Leerstelle“: Zwar nutzen die Babylonier bereits eine Art Platzhalter in ihrer Mathematik, aber weder die Griechen und Römer noch die Chinesen kannten eine Null.

Ein Punkt als Platzhalter

Unsere heutige Null verdanken wir der indischen Mathematik. Denn in ihrem Zahlensystem wurde ein Punkt als Platzhalter und Stellenwertangabe genutzt. Ein solcher Null-Punkt findet sich unter anderem in einer Inschrift aus dem Jahr 787 an einer Tempelmauer in Gwalior in Zentralindien. Als frühester Beleg für die indische Null gilt jedoch das Bakshali-Manuskript. Dieser auf Birkenrinde geschriebene Text wurde 1881 in einem Feld im heutigen Pakistan entdeckt.

Die rund 70 fragilen, dünne Seiten enthalten eine Sammlung mathematischer Regeln sowie Beispiele und Erklärungen dazu. In de Kalkulationen taucht der Null-Punkt hunderte Male auf. „Die Erschaffung der Null als eigenständige Zahl war eine der größten Durchbrüche in der Geschichte der Mathematik – und sie entwickelte sich aus dem Platzhalter-Punkt, wie er im Bakshali-Manuskript zu sehen ist“, erklärt Marcus du Sautoy von der University of Oxford.

500 Jahre älter als gedacht

Aus welcher Zeit das Bakshali- Manuskript jedoch stammt, war bisher unklar. Erste Datierungen anhand von Stil und Schrift gingen davon aus, dass diese Texte aus dem 8. bis 12. Jahrhundert stammen. Jetzt jedoch haben Wissenschaftler der Bodleian Libraries in Oxford das kostbare Manuskript einer neuen Radiokarbondatierung unterzogen.

Das überraschende Ergebnis: Das Bakshali-Manuskript ist rund 500 Jahre älter als bisher angenommen. Die ältesten auf den Birkenblättern geschrieben Textseiten stammen bereits aus der Zeit zwischen 200 und 400 nach Christus, wie die Forscher herausfanden. „Ich bin absolut verblüfft, dass sich dieses Manuskript als so viel älter entpuppte als wir erwartet haben“, sagt du Sautoy.

Marcus du Sautoy erklärt die Geschichte der Null und was das Bakshali-Manuskript verrät© University of Oxford

Über Arabien nach Europa

Das aber bedeutet, dass die indischen Mathematiker auch ihren Null-Punkt schon Jahrhunderte früher erfunden haben als bisher gedacht. „Das hat uns völlig geschockt, als wir erkannten, wie früh die indische Null schon existierte“, sagt du Sautoy. „Es ist spannend, dass diese Kultur bereits das Konzept einer Leere in ihr Denken integrierte und dass ein Symbol für das Nichts schon Teil ihrer Philosophie war.“

Erst Jahrhunderte später griffen arabische Mathematiker die Null der Inder auf. Über ihre Schriften gelangte dann die Ziffer Null im Mittelalter nach und nach auch in das Zahlensystem der Europäer. „Wir wissen nun, dass die Mathematiker Indiens schon im 3. Jahrhundert die Saat der Idee säten, die später so fundamental für die moderne Welt werden sollte“, sagt du Sautoy.

(University of Oxford, 20.09.2017 – NPO)

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