Mit den Augen eines Käfers: Eine neuartige Mini-Kamera zeigt erstmals die Welt aus der Sicht eines Insekts – kabellos und in Echtzeit. Denn die Kamera ist klein und leicht genug, um auf dem Rücken eines Käfers oder Mini-Roboters umhergetragen zu werden. Per Bluetooth schickt sie ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen dann bis zu 120 Meter weit an ein Smartphone. Möglich wird die extreme Miniaturisierung dank eines Patents der Natur, wie die Forscher erklären.
Ob Delfine, Pinguine oder auch landlebende Wildtiere: Schon häufiger haben mobile Mini-Kameras uns einzigartige Einblicke in die tierische Lebenswelt eröffnet. Auf den Rücken geschnallt oder am Kopf befestigt, liefern diese Geräte spannende Livebilder aus der Sicht ihrer Träger. Doch für noch kleinere Tiere oder auch Miniaturroboter fehlten solche Rucksack-Kameras bislang. Der Grund: Die gängige Technik, darunter auch Handykameras, ist zu energiehungrig – allein die Akkus wären viel zu klobig und schwer.
Von der Natur abgeschaut
Auf der Suche nach einer Lösung haben Vikram Iyer von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen in die Natur geschaut: „Wir haben untersucht, welche Kompromisslösungen die Evolution bei den visuellen Systemen der Insekten gefunden hat“, erklären sie. Denn auch bei diesen Tieren kostet das Sehsystem relativ viel Energie. Bei Schmeißfliegen beispielsweise verbraucht allein die Netzhaut schon acht Prozent ihres Ruheumsatzes.
Dennoch ist das Auge der Fliegen schon extrem sparsam. Statt das gesamte Sehfeld scharf abzubilden, fokussieren sie nur auf einen kleinen Ausschnitt. „Fliegen besitzen nur eine kleine hochauflösende Zone und bewegen ihren Kopf, wenn sie die Umgebung mit mehr Sehschärfe abtasten wollen“, erklärt Iyer. Dieses „Patent“ der Natur haben die Forscher nun als Vorbild für ihre neue Miniaturkamera verwendet.
250 Milligramm leicht und schwenkbar
Die neue Kamera besteht aus zwei gut einen und drei Millimeter kleinen Linsen mit verschiedenen Aufgaben. „Die kleinere Linse ist ideal, um Objekte nahe an der Kamera aufzunehmen“, so die Forscher. „Die größere Linse erlaubt es der Kamera, auf größere, weiter entfernte Objekte zu zoomen, wie ein Gebäude oder einen Menschen.“ Damit diese Linsen mit ihrem begrenzten Sehwinkel das Sehfeld abtasten können, sind sie auf einem beweglichem Arm montiert.
Dieser Kameraarm besteht aus Karbonfaser und dem piezoelektrischen Material Blei-Zirkonat-Titanat (PZT), das sich bei Anlegen einer Spannung krümmt. Dadurch lässt sich die Kamera mit nur einem kurzen Stromimpuls um bis zu 60 Grad schwenken. „Dadurch bekommt man eine Weitwinkelsicht des Geschehens ohne dafür viel Energie zu benötigen“, sagt Iyer. Kombiniert wird das Ganze mit einer extrem leichten Bluetooth-Sendeeinheit nebst Antenne und einer kleinen Batterie.
Insgesamt wiegt die neue Kamera nur 248 Milligramm. Sie überträgt schwarzweiß-Aufnahmen mit 160 x160 Pixeln und einer Bildrate von einem bis fünf Aufnahmen pro Sekunde an ein bis zu 120 Meter entferntes Smartphone. Über dieses lassen sich auch Bewegungen des Kameraarms steuern.
Schwarzkäfer als Kameraträger
Für einen ersten Praxistest schnallten die Wissenschaftler ihre Miniaturkamera auf den Rücken von zwei in den USA vorkommenden Vertretern der Schwarzkäfer (Tenebrionidae). „Wir stellten dabei sicher, dass die Käfer sich noch gut bewegen können, wenn sie unser System huckepack trugen“, sagt Iyers Kollege Ali Najafi. Doch für die kräftigen Käfer war der Kamera-„Rucksack“ offenbar kein Problem: „Sie liefen über Kies, überwanden Steigungen und kletterten sogar Baumstämme hoch“, so Najafi.
Um die Batterielaufzeit nicht unnötig zu verkürzen, hatten die Forscher zuvor ihr System um einen Beschleunigungsmesser ergänzt. Er sorgte dafür, dass die Kamera nur dann aktiv wurde, wenn der Käfer sich bewegte. „Wenn die Kamera durchgehend läuft, ist der Akku nach ein bis zwei Stunden leer. Mit dem Beschleunigungssensor konnten wir dagegen sechs Stunden und länger aufzeichnen“, sagt Najafi. Zum ersten Mal konnten die Wissenschaftler so mitverfolgen, was der Käfer sah und wo er sich bewegte – aus seiner Perspektive.
Navigationshilfe für Mini-Roboter
Aber auch miniaturisierte Roboter könnten mit diesem Kamerasystem ausgerüstet werden: In einem weiteren Experiment konstruierten die Wissenschaftler winzige, nur rund zwei Zentimeter breite Roboter, die diese Kamera trugen. Der sich durch Vibrationen seiner Beine fortbewegende Miniroboter übermittelte ein Live-Video seines Umfelds, über welches dann einer der Forscher den kleinen Roboter fernsteuerte und navigierte
Nach Ansicht der Forscher könnten solche Systeme künftig ganz neue Möglichkeiten für die Forschung und Erkundung liefern. „Damit könnte man so viele Fragestellungen erforschen, beispielsweise wie ein Insekt auf verschiedene Reize in seiner Umwelt reagiert“, so Iyer. „Gleichzeitig könnte uns dieses System dabei helfen, optische Eindrücke von Orten zu bekommen, die für uns oder größere Roboter schwer zu erreichen sind.“ (Science Robotics, 2020; doi: 10.1126/scirobotics.abb0839)
Quelle: University of Washington