Physiker sind einem exotischen Teilchen nur aus Gluonen auf der Spur. Ein in Teilchenbeschleunigern entdecktes Zerfallsmuster könnte demnach von einem solchen „Glueball“ stammen. Die Existenz dieser nur aus den Kraftteilchen der starken Kernkraft bestehenden Gebilde wird seit Jahrzehnten vermutet, nachweisen ließen sich diese „Glueballs“ jedoch bisher nicht. Einer der möglichen Kandidaten erscheint nun in neuem Licht.
Gluonen gelten als die Vermittlerteilchen der starken Kernkraft, sie halten beispielsweise in Protonen und Neutronen die Quarks zusammen: „In der Elementarteilchenphysik wird jede Kraft durch ein bestimmtes Kraftteilchen vermittelt und das Kraftteilchen der starken Kernkraft ist das sogenannte Gluon“, erklärt Anton Rebhan von der TU Wien. Zu anderen Kraftteilchen wie den Photonen gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied: Im Gegensatz zu den Trägerteilchen des Elektromagnetismus „spüren“ die Gluonen von ihnen übertragene Kraft selbst.
Teilchen nur aus Gluonen?
Das aber bedeutet, dass es theoretisch auch Teilchen geben könnte, die nur aus Gluonen bestehen – sie ziehen sich einfach gegenseitig an. Tatsächlich spekulierte der Quarks-Entdecker Murray Gell-Mann schon 1972, dass es einen solchen Bindungszustand aus reinen Gluonen geben könnte. Eindeutig nachgewiesen werden konnten solche „Gluebälle“ jedoch bisher nicht. Diese Teilchen wären ungeladen und hätten einen ganzzahligen Spin.
Das Problem: Für einen direkten Nachweis sind Gluebälle zu kurzlebig, sie lassen sich daher nur über ihre Zerfallsprodukte identifizieren – und das ist nicht einfach. „Leider sind die Zerfallsmuster der Gluebälle nicht rigoros berechenbar“, erklärt Rebhan. In Teilchenbeschleunigern wurden sogar schon zwei vielversprechende Kandidaten für Gluebälle gefunden, die Teilchen f0(1500) und f0(1710). Doch könnte sich auch um „normale“ Mesonen aus Quarks und deren Antiteilchen handeln.
Schwere Quarks als Zerfallsprodukt
Anton Rebhan und sein Doktorand Frederic Brünner haben nun Hinweise darauf gefunden, dass das schwerere der beiden Teilchen, f0(1710), entgegen bisherigen Annahmen doch ein guter Kandidat für einen Glueball sein könnte. Dieses Teilchen zerfällt bevorzugt in schwere Strange-Quarks, was nicht ins Bild der gängigen Theorien zu passen schien. Doch die Forscher deckten einen Zusammenhang zwischen Quantentheorien und bestimmten Gravitationstheorien für höherdimensionale Räume auf, der dieses Zerfallsverhalten plausibel macht.
„Aus unseren Rechnungen ergab sich, dass Gluebälle tatsächlich bevorzugt in schwere Quarks zerfallen können“, sagt Rebhan. Das von ihm berechnete Zerfallsmuster in zwei leichtere Teilchen stimmte erstaunlich gut mit dem Zerfallsmuster des experimentell nachgewiesenen Teilchens f0(1710) überein. Gleichzeitig sind auch kompliziertere Zerfälle der Gluebälle in mehr als zwei Teilchen möglich, auch diese Zerfallsraten konnten mit dem neuen Ansatz berechnet werden.
Klärung schon in den nächsten Monaten?
Bereits in den nächsten Monaten könnten zwei Experimente am Large Hadron Collider (LHC) des CERN sowie ein Beschleunigerexperiment in Beijing (BESIII) neue Daten liefern, die die Berechnungen der Physiker bestätigen oder widerlegen. „Diese Tests werden die Nagelprobe für unsere Theorie sein“, glaubt Rebhan. „Unsere Rechnung liefert für diese Zerfälle ganz andere Vorhersagen als konkurrierende einfachere Modelle.“
Sollten die Experimente wären die Indizien erdrückend, dass das bereits seit längerer Zeit bekannte, aber bislang noch wenig erforschte Teilchen f0(1710) der lange gesuchte Glueball-Zustand ist. Außerdem würde es ein weiteres Mal zeigen, dass sich mit höherdimensionaler Gravitationstheorie auch teilchenphysikalische Phänomene analysieren kann – das wäre ein neuerlicher Triumph der allgemeinen Relativitätstheorie, die im November 2015 ihren 100. Geburtstag feiert. (Physical Review Letter, 2015; doi: 10.1103/PhysRevLett.115.131601)
(Technische Universität Wien, 12.10.2015 – NPO)