Glasfaser statt neuronales Netz: Forschende haben ein lichtbasiertes KI-System entwickelt, das ohne komplexe digitale Netzwerke auskommt. Seine Basis bildet stattdessen eine einzige photonische Faser. In ihr erzeugen nichtlineare Wechselwirkungen von Lichtpulsen mit dem Wellenleiter ähnliche Effekte, wie sie bei der Datenverarbeitung durch neuronalen Netzwerke entstehen. In ersten Tests absolvierte das photonische KI-System bereits mehrere gängige KI-Benchmarks mit hoher Trefferquote.
Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT, Gemini oder die Bildgeneratoren basieren auf neuronalen Netzen – mehrschichtigen digitalen Netzwerken aus Knoten und Verbindungswegen. Ähnlich wie bei den verschalteten Synapsen unseres Gehirns verändert das Training der KI-Systeme die Gewichtungen der verschiedenen Routen durch diese Netzwerke. Doch diese digitalen KI-Systeme haben einen Haken: Sie benötigen aufgrund ihrer wenig effizienten Architektur und der digitalen Schritt-für-Schritt-Rechenweise enorme Mengen Energie für Training und Betrieb.
Eine mögliche Lösung für dieses Effizienz-Problem könnten jedoch photonische analoge Computersysteme bieten. Diese Systeme arbeiten nicht mit Nullen und Einsen, sondern mit den Merkmalen einer Lichtwelle – Parametern, die sich kontinuierlich und auf vielfältige Weise verändern können. Der Vorteil: „Das Rechnen mit Licht ermöglicht die parallele Verarbeitung in verschiedenen optischen Freiheitsgraden“, erklären Bennet Fischer vom Leibniz-Institut für Photonische Technologien in Jena und seine Kollegen.
Eine Glasfaser als photonisches KI-System
Doch ob solche photonischen Analogcomputer auch leistungsfähig genug für die künstliche Intelligenz sind und wie solche photonischen KI-Systeme aussehen könnten, war bisher unklar. An diesem Punkt setzen Fischer und sein Team an. Sie haben ein neuromorphes photonisches System entwickelt, das so lernfähig ist wie eine klassische KI – aber mit einem Bruchteil der Energie auskommt.
Das Erstaunliche daran: Das photonische KI-System besteht aus nur einer einzigen optischen Faser. Diese ist so strukturiert, dass sie Welleneigenschaften der eingespeisten Lichtpulse auf nichtlineare Weise moduliert. Diese Interaktion mischt und verändert beispielsweise die Frequenzen auf spezifische Weise und erzeugt so neue Farbkombinationen des Lichts. Auch die Intensität der verschiedenen Signale werden abgeschwächt oder verstärkt.
„Man kann sich den Informationsfluss in einem optischen Wellenleiter als virtuelles neuronales Netzwerk von kurzlebigen Knoten vorstellen, die im zweidimensionalen Raum von Zeit und Frequenz angeordnet sind“, erklären die Physiker.
Zeit und Frequenz statt Netzwerk-Knoten
Das bedeutet: Obwohl das photonische System nur aus einer optischen Faser besteht, kann es eingespeiste Informationen verarbeiten und auf ihrer Basis lernen – wie eine digitale künstliche Intelligenz. „Mit einer einzigen optischen Faser bilden wir die Rechenleistung verschiedenster neuronaler Netzwerke nach”, erläutert Fischers Kollege Mario Chemnitz. „Dieses System macht es möglich, enorme Datenmengen in Zukunft schnell und effizient zu verarbeiten, indem es die einzigartigen physikalischen Eigenschaften von Licht nutzt.“
Doch wie lernt ein solches System? Andes als die Knoten und Verbindungen in gängigen neuronalen Netzen ist die optische Faser ja nach ihrer Herstellung nur noch bedingt veränderbar. Doch wie Fischer und sein Team erklären, kann das Lernen auch durch gewichtete Verarbeitung des optischen Outputs einer solchen Faser stattfinden. Durch Abgleich mit Sollwerten lässt sich so ebenfalls ein Training durchführen.
KI-Benchmarks als Testfall
Ob die optische Faser tatsächlich ähnliche Aufgaben absolvieren kann wie eine digitale KI, testeten die Forschenden mithilfe mehrerer gängiger Benchmarks. Zu diesen standardisierten Aufgaben gehörte die Klassifizierung von Orchideenblüten (IRIS) und von Weinen, die Altersbestimmung von Seeschnecken (Abalone) und die Bilderkennung von handgeschriebenen Ziffern (MNIST).
Das Ergebnis: Bei den Klassifizierungsaufgaben von Orchideen und Weinsorten erreichte das photonische KI-System eine Trefferquote von 100 Prozent. Beim Identifizieren der handschriftlichen Ziffern schaffte das System immerhin noch 86,7 Prozent – eine eher mäßige Quote, wie das Team einräumt. Dafür übertraf das photonische System in einem weiteren Test zur Diagnose von COVID-19-Infektionen anhand von Stimmproben sogar die bisher besten digitalen Systeme.
Chance für effizientere KI
„Wir sind die Ersten, die zeigen konnten, dass ein derart farbenfrohes Wechselspiel von Lichtwellen in optischen Fasern eine direkte Klassifikation von komplexen Informationen ermöglicht – ohne weitere intelligente Software“, sagt Chemnitz. Das Ganze erfordere zudem erheblich weniger Energie als vergleichbare digitale Systeme und sei schon mit handelsüblichen, in der Telekommunikation verwendeten optischen Wellenleitern machbar.
Nach Ansicht der Forschenden eröffnen solche photonischen KI-Systeme damit die Chance, viele Aufgaben effizienter und einfacher zu lösen als mit gängigen digitalen neuronalen Netzwerken. „Unser faserbasierter Prozessor kann eine Bandbreite verschiedener neuronalen Netzwerke emulieren, darunter auch mehrschichtige Netzwerke“, erklären Fischer und sein Team. Dafür benötigt das photonische KI-System aber zwei bis drei Größenordnungen weniger Energie als die für ChatGPT und Co verwendeten Grafikprozessoren. (Advanced Science, 2024; doi: 10.1002/advs.202303835)
Quelle: Leibniz-Institut für Photonische Technologien e. V.