Chemie

Elektrisch „totes“ Wasser entdeckt

In dünnen Schichten verlieren Wassermoleküle ihre Dipoleigenschaften komplett

Viele Wirkungen und Interaktionen des Wassers beruhen auf dem Dipolmoment seiner Moleküle. Doch dieses kann verloren gehen, wie nun ein Experiment belegt. © Sitox/ iStock.com

Verblüffende Entdeckung: Entgegen gängiger Annahme kann Wasser sein Dipolmoment komplett verlieren – es ist dann elektrisch „tot“. Wie ein Experiment enthüllt, geschieht dies immer dann, wenn Wasser in extrem dünnen Schichten von nur zwei bis drei Moleküllagen vorliegt. Die Entdeckung dieses „toten“ Wassers ist nicht nur überraschend, sie hat auch große Bedeutung für viele Bereiche der Biologie und Technik, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Ob die Dichteanomalie, die Eigendissoziation oder exotische Eisformen: Wasser ist in gleich mehrerer Hinsicht ungewöhnlich. Gleichzeitig sähe unsere Welt ohne seine speziellen Eigenschaften ganz anders aus.

Lebenswichtiger Dipol

Eine besondere Rolle spielt dabei das Dipolmoment des Wassers: Weil innerhalb des H2O-Moleküls leichte Ladungsverschiebungen auftreten, bildet es elektrisch gesehen einen Dipol. Erst dadurch kann das Wasser seine Wasserstoffbrückenbindungen aufbauen und mit anderen Molekülen interagieren. Damit stabilisiert es beispielsweise die DNA oder Proteine, wird aber auch zu einem effektiven Lösungsmittel.

Wichtig dafür ist nicht nur das Wasser, dem wir in Seen, Flüssen oder dem Meer begegnen, sondern vor allem die feine Feuchtigkeitsschicht, die nahezu alles überzieht und in jeder noch so kleinen Pore oder Ritze vorkommt. „Wasser bedeckt jede Oberfläche um uns herum. Diese Schicht ist jedoch nur wenige Atome dick“, erklärt Laura Fumagalli von der University of Manchester. „Wir sehen es zwar nicht, aber dieses Wasser ist da und enorm wichtig.“

Wassermoleküle bilden zwischen sich Wasserstoffbrückenbindungen aus. © Qwerter/CC-by-sa 3.0

Dipolmessung in Minikanälchen

Doch ein entscheidender Punkt war bisher unklar: Wie stark ist das Dipolmoment der Wassermoleküle in diesen dünnen Schichten? Weil die Wassermoleküle weniger Platz haben, vermuteten Forscher schon länger, dass die Dielektrizitätskonstante von H2O unter solchen Bedingungen schwächer wird. Doch Messungen dazu gab es kaum.

Jetzt haben Fumagalli und ihre Kollegen dies nachgeholt. Für ihr Experiment erzeugten die Forscher auf einer Unterlage aus Graphit und einer Deckschicht aus Bornitrid winzige Kanälchen von nur wenigen Nanometern Durchmesser. In diese Kanälchen ließen sie dann Wasser strömen – Platz war jeweils nur für eine zwei bis drei Moleküllagen dicke Wasserschicht. Mithilfe eines speziellen Rasterkraftmikroskops maßen sie dann das Dipolmoment der H2O-Moleküle.

Elektrisch tot

Das überraschende Ergebnis: Das Wasser in den dünnen Kanälchen war elektrisch tot. Die Wassermoleküle hatten ihr komplettes Dipolmoment verloren und reagierten nicht mehr auf ein elektrisches Feld, wie die Forscher berichten. „Es war eine echte Überraschung, dass die dielektrische Konstante des Wassers so anomal ist“, sagt Fumagalli. Denn man hatte zwar eine Verringerung erwartet, nicht aber das fast völlige Verschwinden des Dipolmoments.

Das aber bedeutet: Entgegen bisherigen Annahmen ist Wasser in extrem dünnen Schichten elektrisch „tot“. Überall dort, wo Wassermoleküle nur in zwei bis drei Lagen übereinander liegen, reagieren sie nicht mehr auf elektrische Felder und gehen möglicherweise auch kaum noch ladungsbedingte Bindungen ein.

Weitreichende Bedeutung

Damit haben die Forscher eine weitere Anomalie des Wassers aufgedeckt – mit potenziell weitreichender Bedeutung. „Die Existenz von polarisierbarem Wasser an Oberflächen ist zentral für viele wissenschaftliche Fachgebiete. Über seine Natur wurde seit fast einem Jahrhundert diskutiert“, sagt Fumagalli. Wie sich jetzt zeigt, übertrifft der Sonderling H2O dabei einmal mehr alle Erwartungen.

Ihr Kollege Andre Geim ergänzt: „Diese Anomalie ist nicht nur eine akademische Kuriosität, sondern hat Folgen für viele Fachgebiete und vor allem für die Lebenswissenschaften. Unsere Ergebnisse können dazu beitragen, die Rolle des Wassers in technologischen Prozessen zu verstehen, aber auch, warum es für das Leben so essenziell ist.“ (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aat4191)

(University of Manchester, 25.06.2018 – NPO)

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