Verblüffend anders: Forscher haben erstmals Einblick in die innere Struktur des schwersten Elements im Periodensystem bekommen – und Überraschendes festgestellt. Demnach bilden die äußeren Elektronen von Oganesson ein diffuses, homogenes Gas statt säuberlicher Schalen. Und auch der Kern könnte in einem solchen gasartig-diffusen Zustand übergehen, wie die Kernphysiker berichten. Spannend auch: Das schwerste aller Edelgase könnte bei Raumtemperatur fest sein.
Das Periodensystem der Elemente ist quasi der Wegweiser zu allen uns bekannten Atomsorten – eine Bestandstabelle, die gerade in den letzten Jahren durch neuentdeckte Elemente weiter gewachsen ist. Diese kurzlebigen Neuzugänge liefern wertvolle Einblicke in die Grundeigenschaften der Materie, werfen aber auch die Frage auf, wo die Obergrenze für die Größe eines Atoms liegt.
Das bisher schwerste Element ist das erst vor kurzem entdeckte Oganesson mit der Ordnungszahl 118. Mit ihm ist nun die siebte Periode – die unterste Zeile des Periodensystems – vollständig gefüllt. Gleichzeitig ist Oganesson auch das schwerste bekannte Edelgas, es gehört damit theoretisch zu einer extrem reaktionsunwilligen Gruppe des Periodensystems.
Rätsel um Element 118
Doch wie sich dieses Schwergewicht unter den Elementen verhält und wie es intern strukturiert ist, war unbekannt. Der Grund: Weil die Halbwertszeit des Oganessons bei weniger als einer Millisekunde liegt, bleibt zu wenig Zeit für die meisten chemischen oder kernphysikalischen Messungen. Das Innenleben des kurzlebigen Riesenatoms blieb daher rätselhaft – bis jetzt.
Mithilfe kernphysikalischer Modelle und Berechnungen haben nun Paul Jerabek von der Massey University Auckland und seine Kollegen erstmals Einblick in die Atomstruktur des Oganessons gewonnen. Dafür nutzten sie die sogenannte Fermi-Lokalisierung, ein Verfahren, bei dem der orbitale Drehimpuls und der Spin-Drehimpuls der Elektronen und ihre Interaktionen modelliert werden.
Diffuses Gas statt Schalen
Das Ergebnis: Die Elektronen des Oganessons verhalten sich deutlich anders als bei leichteren Elementen. Normalerweise lassen sich die Elektronenbahnen um den Kern durch Orbitale beschreiben – Zonen erhöhter Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die wie Schalen um den Kern liegen. Doch beim Oganesson löst sich diese geordnete Struktur der Elektronen auf: Im Außenbereich der Atomhülle bilden die Elektronen stattdessen ein diffuses Gas.
Ein solcher Übergang von der geordneten Schalenstruktur zum diffusen Elektronengas wurde zwar theoretisch für sehr schwere Elemente vorhergesagt, konnte aber bisher nie nachgewiesen werden. Doch die Ergebnisse von Jerabek und seinen Kollegen sprechen dafür, dass dieser Zustand bei den Außenelektronen des Oganessons erreicht wird. „Das Spin-Orbit-Splitting in der 7p-Elektronenschale wird so groß, dass Oganesson eine homogene, gasähnliche Struktur in der Valenzregion zeigt“, berichten die Forscher.
Auch der Kern ist anders
Und nicht nur das: Auch im Atomkern weicht das Oganesson von der üblichen Struktur ab, wie die Modellierung ergab. Die Wechselwirkungen der 118 Protonen und 176 Neutronen im Kern führen dazu, dass auch die Kernteilchen in den Zustand eines sogenannten Thomas-Fermi-Gases übergehen – einen quantenphysikalischen Zustand, der einem diffusen Gas ähnelt.
Damit sind beim Oganesson sowohl der Kern als auch die Elektronenhülle diffuser als bei allen anderen bekannten Elementen. Hinzu kommt, dass das Oganesson seine Ladungsverteilung leichter verändern kann als die leichteren Edelgase, wie die Forscher berichten. Es kann dadurch leichter spontan zum Dipol werden. Gemeinsam mit den anderen bisher ermittelten Merkmalen könnte dies bedeuten, dass das schwerste Edelgas möglicherweise weniger reaktionsscheu ist als seine leichteren „Artgenossen“. Zudem könnte es vielleicht bei Raumtemperatur fest sein – im Gegensatz zu den restlichen Edelgasen.
„Wichtige Einblicke“
„Diese wichtigen Einblicke in die Struktur von Elektronenhülle und Kern des Oganessons öffnen uns nun das Tor zur weiteren theoretischen Erforschung seiner ungewöhnlichen Eigenschaften“, schreibt Angela Wilson von der Michigan State University in einem begleitenden Kommentar.
Gleichzeitig könnten die Ergebnisse auch dabei helfen, Instrumente und Experimente zu entwickeln, mit denen die chemischen und physikalischen Eigenschaften solcher superschweren Elemente künftig direkt beobachtet werden können. (Physical Review Letters, 2018; doi: 10.1103/PhysRevLett.120.053001)
(American Physical Society, 08.02.2018 – NPO)