Physik

Elemente: Unerklärliche Gesetzmäßigkeit entdeckt

Spektrallinien aller Elemente zeigen unerwartete Verknüpfung mit dem frühen Universum

Spektrallinien
Spektrallinien von Stickstoff, Kohlenstoff und Iridium. Die Gesamtheit aller Elementspektren folgt einer selbst für Physiker überraschenden Gesetzmäßigkeit. © gemeinfrei

Mysteriöse Übereinstimmung: Forscher haben eine bislang unerklärliche Verbindung zwischen den Spektrallinien aller Elemente und einer entscheidenden Phase des frühen Kosmos entdeckt. Denn trägt man die Spektren des gesamten Periodensystems in ein Diagramm ein, ergibt sich eine Kurve, die der sogenannten Schwarzkörperstrahlung bei 9.000 Kelvin entspricht – exakt der Temperatur, bei der Materie und Strahlung im frühen Kosmos noch im Gleichgewicht standen.

Wenn Atome durch Hitze oder Strahlung angeregt werden, geben sie Energie in Form bestimmter, eng abgegrenzter Lichtwellenlängen ab – die Spektrallinien. Die Anordnung und Zahl dieser Linien im Lichtspektrum sind für jedes Element so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Denn wie der dänische Physiker Niels Bohr vor gut 100 Jahren erkannte, bestimmen die Struktur der Atomhülle und die energetischen Zustände der Elektronen darin das Spektrum jedes Elements. So weit, so bekannt.

Verblüffende Übereinstimmung mit der Planck-Verteilung

Doch jetzt haben Physiker um Erstautor Tim Richardt und Teamleiter Alexander Szameit von der Universität Rostock eine überraschende und völlig unerwartete Gesetzmäßigkeit in den Spektrallinien der chemische Elemente entdeckt. Für ihre Studie hatten sie einen zentralen Katalog aller rund 250.000 bisher bekannten Spektrallinien ausgewertet und die Linien aller neutralen Atome nach Wellenlänge verteilt in ein gemeinsames Diagramm eingetragen.

Verteilung der Spektrallinien und Schwarzkörperstrahlung
Die Häufigkeitsverteilung der Spektrallinien aller Elemente über der Wellenlänge ähnelt der typischen Kurve der Schwarzkörperstrahlung bei 9.000 Kelvin. © Richardt et al. / Annalen der Physik, CC-by 3.0

„Auf den ersten Blick scheinen die Spektrallinien der Atome zufällig verteilt zu sein“, berichten die Forscher. Doch als sie die Häufigkeitsverteilung der Spektrallinien in Bezug auf die Wellenlänge betrachteten, zeigte sich eine verblüffend bekannte Kurve: „Die Verteilung der relativen Frequenz der Spektrallinien zeigt eine erstaunliche Übereinstimmung mit der Planck-Verteilung, die die Verteilung der Strahlungsenergie pro Wellenlängeneinheit bei einem Schwarzkörper beschreibt“, so Richardt und seine Kollegen.

Wie ein Schwarzkörper bei 9.000 Kelvin

Als „Schwarzkörper“ bezeichnen Physiker ein Objekt, das alle einfallende Strahlung schluckt und dessen eigenen Abstrahlung allein von seiner Temperatur abhängt. Die Wellenlängenverteilung dieser Strahlung ergibt eine Kurve mit charakteristisch schiefer Glockenform, deren Höhe und Anstieg von der Temperatur bestimmt wird. „Die Ähnlichkeit zwischen dem Spektraldiagramm und der Planck-Verteilung ist völlig unerwartet“, erklären die Wissenschaftler. „Denn das kontinuierliche Spektrum der thermischen Schwarzkörperstrahlung ist die Antithese zu den diskreten Energie-Quantensprüngen, die hinter dem Atomspektrum stehen.“

Auf den ersten Blick gebe es keine Erklärung dafür, warum die Spektrallinien-Verteilung dieser Gesetzmäßigkeit folgen sollte, so die Forscher. Trotzdem ergibt sie eine Kurve, deren Form und Höhe exakt der der Schwarzkörperstrahlung bei 9.000 Kelvin entspricht. Der Scheitelpunkt dieser Kurve liegt etwa bei 320 Nanometern, sie steigt im Extrem-UV-Bereich steil an und fällt zu den längeren Wellenlinien hin sanfter und langausgezogener ab. „Fast das gesamte Periodensystem trägt gleichmäßig zu diesem Histogramm bei“, berichten sie.

Übergang von strahlungs- zu materiedominiertem Universum

Das Merkwürdige daran: Die Temperatur von 9.000 Kelvin hat in der Kosmologie eine spezielle Bedeutung. Denn er kennzeichnet den Wert, bei dem im frühen Universum die Dichte von Strahlung und Materie genau im Gleichgewicht standen, wie die Forscher erklären. Direkt nach dem Urknall war das Universum noch so heiß, dass es von Strahlung domminiert war. Als es sich dann ausdehnte und abkühlte, kondensierten immer mehr Teilchen und die Materie bekam die Oberhand. Heute dominiert im Kosmos die Materie.

Der entscheidende Übergang zwischen dem strahlendominierten und dem materiedominierten Universum erfolgte gängiger Theorie nach etwa 50.000 Jahre nach dem Urknall bei 9.000 Kelvin – genau dem Wert, der sich auch in der Spektrallinienverteilung der Elemente findet.

Ist das bloß Zufall oder steckt mehr dahinter? „Eine mögliche Interpretation wäre, dass dieser Wendepunkt im frühen Universum eine bislang unerkannte Rolle bei der Bildung der Materie spielte“, sagen die Forscher. Doch nach gängigem Wissen waren die Elementarteilchen und damit die Einheiten, die die elektromagnetischen Eigenschaften der Elemente bestimmen, zu dieser Zeit längst vorhanden.

„Es bleibt ein erstaunliches Rätsel“

„Bisher haben wir keine Erklärung für diese Übereinstimmung gefunden – unsere Beobachtung bleibt im Moment ein erstaunliches Rätsel“, konstatieren Szameit und sein Team. Vielleicht, so spekulieren sie, gibt es eine noch unentdeckte tiefere kausale Verbindung, die ihren Fingerabdruck sowohl in den atomaren Spektrallinien der Elemente hinterlassen hat wie auch in der Energie-Materie-Balance des gesamten Universums. Doch welche Verknüpfung dies sein könnte, ist völlig offen.

Die Forscher hoffen nun, dass vielleicht einer ihrer Kollegen irgendwo auf der Welt eine Erklärung für diese merkwürdige und unerklärliche Übereinstimmung findet – deshalb haben sie ihre Beobachtung veröffentlicht. „Wie hat es Isaac Asimov doch so treffend ausgedrückt: ‚Die spannendste Phrase, die man in der Wissenschaft hören kann und die neue Entdeckungen ankündigt, ist nicht ‚Heureka!‘, sondern ‚Hmmm, das ist merkwürdig…'“ (Annalen der Physik, 2020; doi: 10.1002/andp.202000033)

Quelle: Universität Rostock

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