„Unmögliches“ Teilchen aufgespürt: Erstmals haben Physiker ein Teilchen nachgewiesen, das gleichzeitig sein eigenes Antiteilchen ist. Das klingt paradox, doch solche Majorana-Fermionen könnten nach gängiger Annahme auch die Basis der Dunklen Materie bilden. Der Nachweis in einem supraleitenden Eisen-Nanodraht eröffnet nun ganz neue Möglichkeiten, diese exotische Teilchenform zu untersuchen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Normalerweise besteht ein Teilchen entweder aus Materie oder aus Antimaterie. Beides zugleich geht nicht, weil sich beides bei Kontakt gegenseitig auslöscht – so dachte man jedenfalls lange. Doch 1937 postulierte der italienische Physiker Ettore Majorana das Gegenteil: Seinen theoretischen Berechnungen nach könnte es unter bestimmten Bedingungen durchaus Teilchen geben, die Materie und Antimaterie zugleich sind.
Welche Bedingungen dies sind, präzisierte 2001 der Physiker Alexei Kitaev. Demnach könnte ein solches Majorana-Fermion an beiden Enden eines supraleitenden Drahts auftauchen. Diese beiden Teilchen würden sich zwar auslöschen, wenn sie miteinander in Kontakt kommen, sind aber stabil, weil sie räumlich getrennt auftreten. Soweit die Theorie. Der Nachweis dieser Teilchen in der Realität allerdings ließ auf sich warten – bis jetzt.
Eisen-Nanodraht auf Bleibett
Für ihren Nachweis nutzten Stevan Nadj-Perge von der Princeton University und seine Kollegen ein speziell abgepuffertes und gegen Vibrationen isoliertes Rastertunnel-Mikroskop, das über zwei ganze Stockwerke reicht. Um das Majorana-Fermion zu erzeugen, begannen die Forscher mit einem ultrareinen Bleikristall, dessen Atome von Natur aus in regelmäßige Rippen angeordnet sind. Auf eine dieser Rippen lagerten die Physiker einen nur ein Atom breiten und drei Atome dicken Nanodraht aus Eisenatomen ab.
Diese Kombination aus einem ferromagnetischen Nanodraht mit einem Supraleiter gilt als Voraussetzung für die Bildung von Majorana-Fermionen. Gleichzeitig aber ist es enorm schwer, Magnetismus und Supraleitung stabil miteinander zu kombinieren. Nachdem diese Probe in das Rastertunnel-Mikroskop eingeschleust worden war, kühlten die Forscher sie auf minus 272 Grad Celsius herunter – nur ein Grad über dem absoluten Nullpunkt. Dadurch wurden die Materialien supraleitend und ihre Spins traten miteinander in Wechselwirkung.
Verräterische Peaks
Beim Abtasten des Nanodrahts mit der Spitze des Rastertunnel-Mikroskops registrierten die Physiker zwei Peaks – einen an jedem Ende. „Das ist die Schlüssel-Signatur“, betont Seniorautor Ali Yazdani von der Princeton University. „Wenn man die nicht hat, dann kann das Signal auch auf alle möglichen anderen Ursachen zurückgehen.“
Weitere Untersuchungen mit unterschiedlichen Spitzen ergaben jedoch, dass diese Peaks in allen Eigenschaften mit den von Majorana und Kitaev vorhergesagten Materie-Antimaterie-Teilchen, den Majorana-Fermionen, übereinstimmen. „Wir haben diese Beobachtungen am Ende von zehn jeweils frisch hergestellten Ketten mit verschiedenen Spitzen und in verschiedenen Experiment-Durchgängen überprüft und bestätigt“, berichten Nadj-Perge und seine Kollegen.
Erklärung für Dunkle Materie und Neutrinos?
Damit ist nicht nur erstmals direkt nachgewiesen, dass ein Teilchen existieren kann, das Antimaterie und Materie zugleich ist. Der Nachweis eröffnet der Forschung auch wertvolle Möglichkeiten, die Eigenschaften solcher Majorana-Fermionen näher zu untersuchen und damit auch Aufschluss über gleich mehrere ungelöste Rätsel der Physik zu erhalten:
So wird beispielsweise angenommen, dass auch die Dunkle Materie aus Majorana-Fermionen bestehen könnte. Weil diese widerstreitende Eigenschaften in sich vereinen, sind sie nach außen extrem neutral und wechselwirken kaum mit ihrer Umwelt. Genau diese Eigenschaften aber sagt man sowohl der Dunklen Materie als auch den Neutrinos nach – Elementarteilchen, die bei Zerfallsprozessen im All, aber auch im Gestein der Erde entstehen.
Ein großes Plus des Experiments ist es zudem, dass die Majoranas in ganz alltäglichen Materialien erzeugt werden konnten. „Das aufregende ist auch, dass es so einfach ist: einfach nur Blei und Eisen“, sagt Yazdani. Die Forscher erwarten, dass mit Hilfe ihrer Methode auch aus vielen anderen Materialien Majorana-Fermionen entstehen können. (Science, 2014; doi: 10.1126/science.1259327)
(Princeton University, 06.10.2014 – NPO)