Der „Earthquake Early Warning Simulator“ hilft bei einer schnellen und flächendeckenden Frühwarnung bei Erdbeben. Das Werkzeug zur Frühwarnung und Katastrophenhilfe simuliert Erdbebenereignisse und erstellt interaktive Karten, die eine deutlich effektivere und zielgerichtetere Entscheidungsfindung im Erdbebenfall ermöglichen.
Die Gefahr von starken Erdbeben wie zuletzt in Indonesien gibt es in Deutschland nicht – glücklicherweise. Dennoch können, das belegen historische Daten, auch bei uns heftige Erdstöße auftreten. Zuletzt zeigte dies das Erdbeben bei Furtwangen im Schwarzwald am 5. Dezember 2004 mit einer Magnitude von 5,4. Um die Schäden durch Erdbeben so gering wie möglich zu halten und besonders um Folgeschäden zu vermeiden, werden im Rahmen des Sonderprogramms Geotechnologien Frühwarnsysteme für den Erdbebenfall entwickelt.
Frühwarnung: Winziges Zeitfenster als Chance
Frühwarnsysteme nutzen die kurze Zeitspanne zwischen dem Beginn eines Erdbebens oder eines Tsunamis bis zum Eintreffen der schädlichen Wellen in der nächstliegenden Stadt oder an der nahen Küste. So können Lage und Stärke der Erdbeben anhand der so genannten P-Wellen schnell identifiziert werden. Diese Wellen haben aber kaum Schadenspotential. Die deutlich langsameren aber zerstörerischen S-Wellen oder Oberflächenwellen erreichen den Beobachtungsstandort dagegen erst viele Sekunden später.
Diese wertvollen Sekunden können genutzt werden, um zum Beispiel Gasleitungen abzusperren, den öffentlichen Verkehr anzuhalten oder chemische Produktionen zu drosseln. Auf diese Weise können zwar Gebäudeschäden nicht verhindert werden, Folgeschäden zum Beispiel durch Unfälle an beschädigten Schienenkörpern und Brücken, Großfeuer oder chemische Kontamination werden aber minimiert.
„Earthquake Early Warning Simulator“ hilft beim Katastrophenschutz
Das Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), haben nun eine erste Simulation eines solchen Frühwarnsystems veröffentlicht. Der interaktive Earthquake Early Warning Simulator verdeutlicht, wie sich unterschiedlichste Informationen zu einer Lageanalyse zusammenfassen lassen. Die Wissenschaftler um Professor Eberhard Hohnecker vom Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen der Universität Karlsruhe, den Koordinator des Projektes „EWS Transport“, entwickeln ein System, das Aussagen über die Schadensanfälligkeit, die Vulnerabilität, erlauben wird. Eine Entscheidungshilfe für den Katastrophenschutz – denn jede Sekunde zählt.
Beschleunigungskarten schon Sekunden nach Bebenbeginn
Am Beispiel von über 300 fiktiven Erdbeben und fokussiert auf das Schienennetz Baden-Württembergs zeigt der Simulator, wie das Frühwarnsystem reagiert: Aus den ersten Sekunden einer an seismischen Observatorien registrierten Erdbebenwelle lassen sich die genaue Position und die Stärke des Bebens
schnell ermitteln. Anhand dieser Eckdaten werden so genannte Beschleunigungskarten erstellt, die prognostizieren, in welchen Regionen sich die Erde besonders stark bewegen wird. Neben den Messdaten werden auch geographische und geologische Daten genutzt.
Schnelle Identifizierung gefährdeter Gebiete
Basierend auf diesen Informationen können Züge in gefährdeten Regionen abgebremst werden. Nach dem Erdbeben werden die tatsächlich registrierten Höchstwerte der Beschleunigung mit Infrastrukturdaten verglichen, so dass potentiell beschädigte Bauwerke ermittelt werden können. Auf diese Weise lassen sich gefährdete Abschnitte von Bahnstrecken oder Brücken identifizieren. Ein Vorgang, der nur wenige Sekunden dauert, der aber Menschenleben retten kann.
So ist es aufgrund der Karte mit gefährdeten Infrastrukturelementen nun möglich, gezielt den Personen- und Güterverkehr auf gefährdeten Strecken zu stoppen oder Geschwindigkeitsreduzierungen zu initiieren. Auf Basis der Schadenskarte können Rettungskräfte direkt an die Stellen geleitet werden, an denen sie besonders benötigt werden.
Auch auf andere Katastrophenformen übertragbar
Die Zielgruppe des Simulators sind vor allem Wissenschaftler auf dem Gebiet der Frühwarnung. Für den Einsatz im Katastrophenmanagment muss das System entsprechend der Nutzeranforderungen der Zielgruppe erweitert werden. „Deswegen sichert die flexible service-orientierte Architektur des Simulators die Übertragbarkeit auf andere Szenarien, wie etwa den Einsatz des Systems für andere Naturkatastrophen, z.B. Hochwasser, Terrorangriffe oder den Schutz alternativer Infrastrukturen“ so Hilbring vom Fraunhofer IITB. Potentielle künftige Nutzer des Systems sind also zum Beispiel Bahnbetreiber oder Firmen mit kritischen Infrastrukturen wie chemischen Fabriken oder
Atomkraftwerken.
Ein erster Test in Kooperation mit den Geotechnologien-Projekten SLEWS und ILEWS realisiert die technische Einbindung von Diensten, die im Rahmen der Erdrutschforschung entwickelt wurden und zeigt das Potential für die Erweiterung des Simulators. Ein weiteres Ziel für die Weiterentwicklung des
Systems in potentiellen Nachfolgeprojekten ist die Anbindung an ein echtes Sensornetzwerk.
(Koordinierungsbüro Geotechnologien, 03.11.2009 – NPO)