Heiße Spur: Neutrinos könnten die Frage beantworten, warum es mehr Materie als Antimaterie im Universum gibt – dies ist die Voraussetzung für unsere Existenz. Denn ein Experiment in Japan enthüllt nun, dass sich Neutrinos und Antineutrinos in ihrem Verhalten unterscheiden. Dieser Symmetriebruch bei der Umwandlung von Myon- in Elektron-Neutrinos könnte der lange gesuchte Grund für die Dominanz der Materie sein, so die Forscher im Fachmagazin Nature“.
Es ist eines der großen Rätsel der Physik: Obwohl beim Urknall gleiche Mengen von Antimaterie und Materie entstanden sein müssen, löschten sie sich nicht gegenseitig aus. Stattdessen besteht unser Universum heute zum Großteil aus Materie. Aber warum? Physiker gehen davon aus, dass es subtile Unterschiede zwischen Teilchen und ihren Antiteilchen gab und gibt – einen Symmetriebruch, der diese Annihilation verhinderte.
Doch wo versteckt sich dieser Symmetriebruch? Bei den Grundmerkmalen von Antimaterie und Materie gibt es keine Anzeichen dafür. Einzig beim Zerfallsverhalten einiger Quarks, der sogenannten CP-Invarianz, haben Physiker Unterschiede entdeckt. Aber diese allein reichen nicht aus, um die Dominanz der Materie im Universum zu erklären.
Oszillation von Neutrinos und Antineutrinos im Vergleich
Jetzt gibt es eine neue Spur – im Verhalten der Neutrinos. Diese fast masselosen Teilchen kommen in drei Sorten vor: Elektron-, Tau- und Myon-Neutrinos. Diese besitzen die Eigenheit, dass sie sich buchstäblich im Flug von einer Neutrinosorte in eine andere umwandeln können. Forscher der T2K-Kollaboration haben nun untersucht, ob diese Neutrino-Oszillation bei Neutrinos und ihren Antiteilchen anders verläuft.
Für das Experiment erzeugten die Forscher in einer Anlage in japanischen Tokai Ströme von Myon-Neutrinos oder Myon-Antineutrinos und schickten diesen knapp 300 Kilometer weit durch die japanischen Berge zum Detektor Super-Kamiokande. Dort erfassten sie, wie viele dieser Teilchen sich in Elektron-Neutrinos oder Elektron-Antineutrinos umgewandelt hatten. Jetzt liegen die Daten des „Tokai to Kamiokande“-Experiments (T2K) für die Zeit von 2009 bis 2018 vor.
Unterschiede entdeckt
Das Ergebnis: Im Detektor registrierten die Physiker etwas weniger Elektron-Antineutrinos als bei völliger Symmetrie zu erwarten war. Das spricht dafür, dass sich Myon-Neutrinos mit höherer Wahrscheinlichkeit umwandeln als es ihre Antiteilchen tun. Noch liegen die Unterschiede allerdings im Bereich von drei Standardabweichungen (3 Sigma) und damit unter dem Wert von fünf Sigma, der für einen offiziellen Nachweis in der Teilchenphysik nötig wäre.
Dennoch sind die T2K-Forscher ziemlich sicher, auf der richtigen Spur zu sein: „Auf Basis unserer Daten sind wir mehr als 95 Prozent sicher, dass sich Neutrinos und Antineutrinos unterschiedlich verhalten“, erklärt T2K-Mitglied Patrick Dunne vom Imperial College London. „Nicht wichtiger aber: Das Ergebnis für die Neutrinos bewegt sich in einer Größenordnung, die die Dominanz der Materie über die Antimaterie erklären könnte.“
„Fundamentale Bedeutung für die Physik“
Sollte sich das Ergebnis bestätigen, könnte das Geheimnis der Materiedominanz zum großen Teil in den Neutrinos stecken. „Unser Ergebnis bringt uns näher als je zuvor an eine Antwort auf die Frage, warum die Materie in unserem Universum überhaupt existiert“, sagt Dunne. „Das hätte fundamentale Bedeutung für die Physik.“
Die Hoffnung der Physiker ruht nun auf dem Nachfolger des T2K-Experiments, dessen Bau in Kürze beginnen soll. Dafür wird der Neutrinos produzierende Teilchenbeschleuniger in Tokai so ausgebaut, dass er einen dichteren Strahl von Neutrinos erzeugen kann. Parallel dazu wird der Super-Kamiokande zum Hyper-Kamiokande mit zehnfachem Detektorvolumen aufgerüstet. In den USA ist außerdem ein weiteres Experiment zur Neutrino-Oszillation geplant. Der DUNE-Detektor soll Neutrinos und Antineutrinos vom 1.300 Kilometern entfernten Fermilab einfangen. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2177-0)
Quelle: Imperial College London, Stony Brook University