Es wäre ein Meilenstein: Das Unternehmen IBM will schon in drei Jahren den ersten Quantencomputer mit mehr als tausend Qubits fertigstellen – und damit quasi die „Schallmauer“ für das Rechnen mit Quanten knacken. Denn solche Systeme könnten gängige Supercomputer dann in vielen Aufgaben ablösen. Bisher allerdings gibt es nicht einmal Rechner mit 100 Quantenbits – das mit virtuellen Teilchen in Supraleitern arbeitende System von IBM soll das nun ändern.
Quantencomputer gelten als Rechner der Zukunft, weil sie komplexe Aufgaben schneller bewältigen könne als herkömmliche Rechner. Dank des Phänomens der Überlagerung kennen ihre Quantenbits nicht nur Null und Eins, sondern auch Zustände dazwischen. Dadurch kann ein Quantenbit mehr Informationen gleichzeitig speichern und verarbeiten – theoretisch. Praktisch allerdings sind die Qubits extrem störungsanfällig und je mehr davon man kombiniert, desto instabiler wird das System.
Unter anderem deshalb hatte der erste kommerzielle Quantencomputer nur fünf Qubits in Form virtueller, von Supraleitern erzeugter Teilchen. Die aktuell größten Quantenrechner sind ein 65 Qubit-Computer von IBM und ein 54-Qubit-System von Google. Letzteres soll 2019 erstmals die sogenannte Quantenüberlegenheit bewiesen haben. Die 100-Qubit-Marke will ein europäisches Konsortium bis 2021 knacken.
1.121 Qubits bis 2023
Deutlich ehrgeiziger sind die Ziele von IBM, wie nun die neue „Roadmap“ des Unternehmens zeigt. Demnach strebt IBM an, bis Ende 2023 einen Quantencomputer mit mehr als tausend Qubits zu entwickeln. „Die Marke von 1.000 Qubits und mehr pro System wird als die Schallmauer angesehen, ab der wir auf einem Quantencomputer Probleme effizienter lösen können als auf den leistungsstärksten Supercomputern von heute“, heißt es in der Mitteilung des Unternehmens.
Der „IBM Quantum Condor“ getaufte Rechner soll damit den Weg zu skalierbaren, universeller einsetzbaren Quantencomputer ebnen. „Die größte Herausforderung ist es, herauszufinden, wie man Qubit-Systeme dieser Größe lange genug und mit wenig genug Fehlern laufen lassen kann“, sagt der Physiker und IBM-Projektleiter Jay Gambetta. Denn nur dann sei es möglich, die für künftige Anwendungen nötigen komplexen Quantenschaltkreise zu kontrollieren.
„Transmons“ im Spezial-Gefrierschrank
Konkret besteht der geplante Quantencomputer aus 1.121 Quantenbits in Form sogenannter „Transmon-Qubits“. Dabei handelt es sich um virtuelle Teilchen in Form von supraleitenden Inseln in fünf Metallspulen. Diese Quantenbits lassen sich über Mikrowellen zu Schaltkreisen verknüpfen, ihre über elektrische Spannung ableitbaren Zustände entsprechen den Nullen und Einsen der konventionellen Bits.
Um die sensiblen Quantenbits vor Störungen abzuschirmen, entwickelt das IBM-Team zurzeit einen speziellen, drei Meter hohen „Gefrierschrank“, in dem die Supraleiter und die in ihnen erzeugten Transmons mittels flüssigem Helium bis auf knapp über den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden können. „Wir haben diesen Behemoth schon im Hinblick auf kommende Millionen-Qubit-Systeme hin entwickelt“, sagt Gambetta.
„Für die Zukunft stellen wir uns über Quantenlinks verbundene Gefrierschränke vor, die jeder eine Million Qubits enthalten“, so der IBM-Physiker weiter. „Ähnlich wie die Intranetlinks der heutigen Supercomputer-Prozessoren würde dies einen massiv parallelen Quantencomputer erzeugen, der die Welt verändern kann.“
Neue Verschaltungen und Fehlerkorrekturen
Um die Quantenbits dieser künftigen Rechner weiter zu stabilisieren und ihre Fehleranfälligkeit zu senken, hat IBM schon bei ihrem aktuellen 65-Bit-Quantencomputer neue Formen der Verschaltung entwickelt. „Das System hat ein 8:1-Multiplexing – das bedeutet, dass wir die Signale von acht Qubits zu einem kombinieren“, erklärt Gambetta. „Dadurch benötigen wir weniger Leitungen und andere für das Auslesen wichtige Komponenten und machen das System besser skalierbar.“
Zusätzlich soll eine spezielle Anordnung der Qubits und die enge Kopplung von jeweils zwei Transmons dazu beitragen, die Fehler zu reduzieren. „Dieses Qubit-Layout erlaubt es uns, einen speziellen Fehlerkorrektur-Code zu implementieren“, so Gambetta. Auch die Latenzzeit der Kontrollsysteme sei verbessert worden, um eine bessere Kontrolle der Qubits zu gewährleisten.
Den Weg zum 1.000 Qubit-Rechner will IBM in mehreren Schritten umsetzen. Im nächsten Jahr soll ein 127-Qubit-Prozessor in Betrieb gehen, im Jahr 2022 dann ein Quantencomputer mit 433 Qubits.
Millionen-Qubit-Rechner noch in diesem Jahrzehnt?
Allerdings räumt auch Gambetta ein, dass dies ehrgeizige Ziele sind: „Den Weg zu kennen, bedeutet noch nicht, die Hindernisse zu beseitigen – wir stehen vor einigen der Größten Herausforderungen in der Geschichte des technologischen Fortschritts“, so der Forscher. „Aber dennoch erscheint uns ein vollwertiger, fehlertoleranter Quantencomputer als ein innerhalb des kommenden Jahrzehnts erreichbares Ziel.“
Tatsächlich ist IBM nicht das einzige Unternehmen, das bereits an größeren, leistungsfähigeren Quantencomputern arbeitet. Auch Hauptkonkurrent Google hat schon angekündigt, innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Quantenprozessor mit einer Million Qubits bauen zu wollen – über den genauen Zeitplan schweigt sich das Unternehmen allerdings aus.
Quelle: IBM, Nature News