Historische Erfindung im Test: 1675 konstruierte der belgische Jesuitenpater das erste selbstfahrende Fahrzeug – einen kleinen Dampfwagen. Ob dieses Gefährt aber wirklich gefahren sein kann, hat nun ein deutsches Forschungsteam überprüft, indem sie das Fahrzeug nach historischen Beschreibungen nachbauten. Und tatsächlich: Die vierrädrige Wärmekraftmaschine konnte sich aus eigener Kraft vorwärtsbewegen, wie die Tests ergaben.
Der 29. Januar 1886 gilt gemeinhin als die Geburtsstunde des Automobils. An diesem Tag erhielt Carl Benz das Patent für sein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor – ein Gefährt, das die Geschichte prägen sollte. Aber der erste Erfinder eines Automobils und damit wörtlich eines sich selbst (auto) bewegenden (mobilis) Vehikels war Benz keineswegs. Schon mehr als ein Jahrhundert vor ihm experimentierten Tüftler an verschiedenen dampfgetriebenen Fahrzeugen.
Glühende Kohlen als „Treibstoff“
Der erste Konstrukteur eines solchen Fahrzeugs war jedoch kein Ingenieur oder Techniker, sondern ein belgischer Jesuitenpater: Der in China als Missionar eingesetzte Ferdinand Verbiest konstruierte schon vor knapp 350 Jahren ein selbstfahrendes Gefährt und gilt damit als tatsächlicher Erfinder des Automobils. Angetrieben wurde das Vehikel durch einen Kessel voll glühender Kohlen, deren Hitze Dampf erzeugte.
Mitfahren konnte man in dem etwas skurril anmutenden Vehikel allerdings nicht, denn es war nur 60 Zentimeter lang und 30 Zentimeter breit. Doch der Transport von Menschen und Lasten war auch nicht das Ziel von Verbiest. Der Jesuitenpater wollte zeigen, zu welch technischen Leistungen der Westen fähig war und beweisen, dass das Prinzip eines Dampfantriebs funktioniert. 1675 stellte er sein kleines vierrädriges Gefährt fertig und führte es in Peking vor.
Nur die Beschreibung blieb erhalten
In Europa blieb diese Errungenschaft allerdings weitgehend unbekannt. Von ihr zeugt nur ein Bericht Verbiests, in dem er für seine Ordensoberen alle wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten in China zusammenfasste. Dieses damals in Dillingen gedruckte Buch „Astronomia Europaea“ ist bis heute erhalten und enthält eine relativ exakte, wenn auch etwas umständliche Beschreibung eines kleinen Wagens. Ein Ausschnitt daraus:
„In seine Mitte stellte ich ein Becken voller glühender Kohlen und über dieses Behältnis eine Aeolopile (= Dampfturbine). Mit der Achse der Vorderräder verband ich ein bronzenes Zahnrad, dessen Zähne, quer liegend und horizontal, in ein anderes kleines Rad eingriffen, das an einer – senkrecht zum Horizont stehenden – Achse befestigt, dergestalt wirkte, dass sich, wenn sich die letztgenannte Achse drehte, der Wagen bewegte“, schrieb der Jesuit.
Dieser Achse habe er ein weiteres Rad beigefügt, das außen mit paarweisen kleinen Tuben bestückt war. „Auf sie drückend drehte der von einer engen Düse der Aeolopile ausgestoßene Wind das ganze Rad und trieb zugleich den Wagen an, der eine Stunde und mehr in ziemlich rascher Art fuhr.“
Nachbau des Gefährts im Praxistest
Auf diese Beschreibung des Wagens stieß der Ingolstädter Historiker Gerd Treffer durch Zufall, als er eine Ausstellung über den Friedhof der jesuitischen Missionare in Peking vorbereitete. Treffer wurde neugierig und wollte wissen, ob Verbiests kleiner Wagen damals wirklich gefahren sein konnte. Diese Überprüfung haben nun Thomas Suchandt von der Technischen Hochschule Ingolstadt und seine Studierenden übernommen.
Das Rekonstruktionsteam hat die Beschreibungen aus Verbiests Buch genutzt, um erst die Baupläne zu rekonstruieren und dann das kleine Automobil nachzubauen. Zunächst bauten sie das Modell aus modernen Materialien, um zu überprüfen, ob es überhaupt fährt. Sie suchten nach der passenden Holzart, experimentierten mit dem richtigen Druck und der Wassermenge. Experimentieren war die Devise. „Einige Teile flogen uns um die Ohren“, erzählt Suchandt.
Beweis erbracht: Es fuhr
Doch schließlich war der Nachbau fertig – und fuhr tatsächlich. Damit war der Beweis erbracht, dass Verbiests Konstruktion schon ein selbstfahrendes Gefährt war – ein Automobil. „Zwar war der Rückstoß mit Hilfe von Wasserdampf schon den alten Ägyptern bekannt. „Aber diese Wärmekraftmaschine, Aeolipile genannt, galt damals als Kuriosum ohne praktischen Nutzen“, erklärt Suchandt. „Das Spektakuläre an Verbiests Entwicklung ist, dass sich das Objekt selbst bewegen kann.“
Nach dem ersten Test mit modernen Materialien wollen die Studierenden aus Suchandts Team nun noch eine Version von Verbiests Automobil mit historischen Materialien nachbauen.
Quelle: Technische Hochschule Ingolstadt