Kleiner Schritt auf dem Thermometer, großer Sprung für Quantencomputer: Forscher haben erstmals Quantenbits entwickelt, die bei 15-fach höheren Temperaturen arbeiten als bisher möglich. Statt auf wenige tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt müssen diese Qubits „nur“ noch auf gut ein Kelvin heruntergekühlt werden. Das ebnet den Weg zu integrierten Quanten-Schaltkreisen und ermöglicht eine viel günstigere Kühlung, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Quantencomputer gelten als Rechner der Zukunft, weil sie dank quantenphysikalischer Phänomene wie der Überlagerung und Verschränkung massiv parallel rechnen können. Ein Quantensystem aus 54 Qubits hat bereits den weltstärksten Supercomputer überholt. Auch kommerzielle Quantencomputer gibt es bereits. Ihre Qubits sind entweder Ionen oder Quantenpunkte: einzelne Elektronen oder Elektronenlücken, die so im Halbleitermaterial „eingesperrt“ sind, dass sie nur klar voneinander abgrenzbare Zustünde einnehmen können – entsprechend der digitalen Null und Eins
Temperatur als Hemmschuh
Das Problem jedoch: Bisher sind die Quantenzustände dieser Qubits so fragil, dass sie bis auf wenige Millikelvin heruntergekühlt werden müssen – wenige Gradbruchteile über dem absoluten Nullpunkt. Das erfordert extrem aufwändige und teure Kühlsysteme und macht es fast unmöglich, Qubits und elektronische Komponente solcher Rechner in einem Chip zu kombinieren. Stattdessen ist bislang jedes ultrakalte Qubit über eine eigene Leitung mit der bei Raumtemperatur laufenden Elektronik verbunden.
„Der gegenwärtige Stand der Quantentechnologie ist mit der der klassische Computer in den 1950er Jahren vergleichbar“, erklärt Menno Veldhorst von der Technischen Universität Delft. „Zu dieser Zeit musste jede Komponente einzeln zusammengelötet werden, was für größere Schaltkreise nicht machbar ist.“ Für künftige Quantencomputer mit Millionen von Qubits benötigt man daher Quantenchips mit integrierten elektronischen und quantenphysikalischen Schaltkreisen. Dafür aber müssen sich Elektronik und Qubits auch in ihren Temperaturanforderungen einander annähern.
Ein Quantensprung zu „heißen“ Qubits
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist nun gleich zwei Forscherteams gelungen – einer Gruppe um Veldhorst und einer zweiten um Andrew Dzurak von der University of New South Wales in Sydney. In beiden Ansätzen bestehen die Qubits aus Quantenpunkten in dotiertem Silizium. Diese konnten die Wissenschaftler so stabilisieren, dass sie logische Operationen schon bei 1,1 und 1,5 Kelvin rechnen konnten.
„Das ist noch immer sehr kalt, aber es ist eine Temperatur, die man durch eine wenige tausend Dollar teure Kühlung erzielen kann, statt der Millionen Dollar, die es heute kostet, um die Chips auf 0,1 Kelvin herunterzukühlen“, erklärt Dzurak. „In der Quantenwelt ist diese Temperaturerhöhung ein extremer Schritt.“ Der Wert von 1,5 Kelvin sei 15 Mal höher als die Temperaturen, bei denen aktuelle Quantencomputer beispielsweise von IBM oder Google laufen.
Ähnlich begeistert zeigt sich Veldhorsts Kollege Luca Petit: „Als dann alles zusammenkam und wir zum ersten Mal Operationen mit zwei Quantenbits bei dieser Temperatur durchführen konnten, war das ein fantastischer Moment.“
Skalierbarer, leistungsfähiger und erschwinglicher
Nach Ansicht beider Forscherteams ebnen ihre Ergebnisse den Weg zu Quantencomputern mit größeren Qubit-Zahlen und zu integrierten Quanten-Schaltkreisen. „In fünf Jahren könnten wir schon solche integrierten Schaltkreise haben“, sagt Veldhorst. „Das wäre ein wirklich großer Schritt hin zu den zukünftigen Quantencomputern.“
Zudem ermöglichen die „hot“ Qubits nun die Konstruktion weit kostengünstigerer, weil mit gängigen Heliumsystemen kühlbaren Quantencomputern. „Damit ebnen unsere Ergebnisse den Weg von experimentellen Anlagen zu erschwinglichen Quantencomputern für reale Anwendungen von Unternehmen und Regierungen“, sagt Dzurak. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2171-6; doi: 10.1038/s41586-020-2170-7)
Quelle: Qutech, University of New South Wales