Ungewöhnlicher Effekt: Während Metalle normalerweise bei Kälte schrumpfen, verhält sich eine Samariumverbindung genau umgekehrt – sie dehnt sich aus. Damit gehört sie zu nur einer Handvoll bekannter Materialien mit diesem Verhalten. Dahinter steckt ein Quanteneffekt, durch den freie Elektronen im Material die Atomhüllen des Samariums auffüllen. Dies wiederum drückt die Atome auseinander – und das Material dehnt sich aus, je kälter es wird.
Die meisten bekannten Metalle und Feststoffe ziehen sich bei Kälte zusammen – das Material schrumpft. Diese Veränderungen müssen Konstrukteure beispielsweise bei Flugzeugen einbeziehen, die in Reiseflughöhe großer Kälte ausgesetzt sind.
„In praktischen Anwendungen wie einem Flieger oder elektronischen Gerät nutzt man daher Legierungen aus Materialien, die sich beim Abkühlen gegensätzlich verhalten“, erklärt Erstautor Daniel Mazzone vom Brookhaven National Laboratory. Man kombiniert Metalle, die sich bei Kälte zusammenziehen mit exotischeren Materialien, die sich ausdehnen. Doch diese negative thermische Expansion ist bisher nur von einer Handvoll Materialien bekannt.
Volumenzunahme um bis zu drei Prozent
Jetzt haben Mazzone und seine Kollegen ein weiteres dieser exotischen Materialien entdeckt – eine Verbindung des Seltenerdmetalls Samarium. In ihrem Experiment nutzten die Forscher Samariumsulfid, das mit Yttrium-Atomen dotiert war. An einigen Stellen des Atomgitters waren Samarium-Atome durch Yttrium-Atome ersetzt. Dieses Material ist schon per se exotisch, weil es je nach Umweltbedingung manchmal ein golden schimmerndes Metall bildet, mal einen stumpfschwarzen Halbleiter.
Doch wenn man die golden-metallische Form des Samariumsulfids abkühlt, wird es noch exotischer: Das Material dehnt sich deutlich aus, je kälter es wird. Im Strahl eines Röntgensynchrotrons haben die Forscher sichtbar gemacht, warum: „Wenn die Temperatur sinkt, bewegen sich die Atome dieses Metalls auseinander“, erklärt Mazzone. „Das bringt das gesamte Material dazu, sich um bis zu drei Prozent seines Volumens auszudehnen.
Elektronen strömen in Außenschale
Aber warum? Was bringt die Samarium-Atome dazu, bei Kälte auseinanderzuweichen? Das haben Mazzone und sein Team mithilfe der Röntgenabsorptions-Spektroskopie herausgefunden. „Diese Experimente können zeigen, ob Elektronen sich in die äußeren Schalen des Samariums hineinbewegen oder aus ihnen austreten“, erklärt Mazzones Kollege Ignace Jarrige. Beim Samarium sind diese äußeren Elektronenniveaus gerade knapp halbvoll.
Die Röntgenspektroskopie ergab: Die im metallischen Zustand normalerweise frei umherströmenden Außenelektronen der Atome im Samariumsulfid bewegen sich bei Kälte in die Außenschalen der Samarium-Atome hinein. Dabei werden sie vom sogenannten Kondo-Effekt angezogen, wie die Physiker erklären. Dieser entsteht, weil magnetische Unreinheiten im Material die Elektronen anziehen und sie dazu bringen, sich so anzulagern, dass ihr Spin diese Magnetzonen ausgleicht.
Als Folge füllen sich die Elektronenhüllen der Samarium-Atome auf und nehmen so auch an Volumen zu. Dies wiederum drückt die Atome auseinander – das Material dehnt sich aus.
Ausdehnung durch Fremdatome steuerbar
Und noch etwas fanden Mazzone und sein Team heraus: Wie stark sich das Samariumsulfid bei Kälte ausdehnt, lässt sich gezielt einstellen. Denn seine negative thermische Expansion hängt von der Konzentration der eingestreuten Yttrium-Atome im Kristallgitter ab. „Diese Einstellbarkeit macht dieses Material sehr wertvoll für die Entwicklung neuer balancierter Legierungen“, sagt Mazzone.
Gleichzeitig legen die Ergebnisse nahe, dass auch andere, ähnliche Verbindungen sich bei Kälte ausdehnen könnten. Dies eröffnet damit neue Möglichkeiten, kältebeständige Materialien und Legierungen herzustellen. (Physical Review Letters, 2020; doi: 10.1103/PhysRevLett.124.125701)
Quelle: DOE/Brookhaven National Laboratory