Beständig oder gefährlich: Wissenschaftler haben ein keramisches Material entwickelt, das beim Abkühlen entweder explosiv, bröselig oder reversibel ist. Entscheidend für die auftretende Eigenschaft ist das Mischverhältnis innerhalb der verwendeten Metalloxide. Ursprünglich hatten die Forscher versucht, eine Keramik mit einem Formgedächtnis zu entwickeln, wie sie im Fachmagazin Nature berichten.
Egal ob Kaffeetasse oder Badezimmerfliese: Keramiken sind zwar hart, aber meist zerbrechlich und nicht verformbar. Dafür sind sie extrem hitzebeständig. Ihnen gegenüber stehen Formgedächtnislegierungen, die äußerst flexibel sind und auch große Spannungen aushalten. Sie kommen beispielsweise bei medizinischen Stents zum Einsatz und können reversible, also umkehrbare Vorgänge und Verformungen durchlaufen.
Neuartige Keramiken
Ein Team aus deutschen und US-amerikanischen Wissenschaftlern hat es nun geschafft ein Material mit einer Kombination dieser Eigenschaften herzustellen. In einer Reihe von Experimenten testeten sie verschiedene Keramikzusammensetzungen, die beim Abkühlen teilweise sehr gegensätzliche Verhaltensmuster zeigten. Eine spezielles Mischverhältnis zeigte dabei auch reversible Vorgänge. Es könnte zukünftig dabei helfen, ein keramisches Material mit Formgedächtnis herzustellen.
„Das wäre eine völlig neue Art von Funktionsmaterial“, sagt Richard James von der University of Minnesota, Seniorautor der Studie. „Es besteht ein großer Bedarf an Formgedächtnisaktoren, die bei hohen Temperaturen oder in korrosiven Umgebungen funktionieren“
Zirkonium und Hafnium
Die von den Forschern untersuchten Keramiken bestanden aus einer Mischung zweier Metalloxide: Zirkonium-Hafnium-Oxid und Yttrium-Niob-Oxid. Das Verhältnis von Zirkonium zu Hafnium wurde so variiert, dass das entstehende Material bestimmte Eigenschaften aufweist. Im Fokus lag dabei die sogenannte kinematische Kompatibilität. Wenn ein Kristall erhitzt wird oder abkühlt, durchläuft er verschiedene Phasen mit unterschiedlichen Gitteranordnungen seiner Atome. Die kinematische Kompatibilität beschreibt dabei, wie gut sich zwei Kristallphasen aneinander anpassen.
Die neu entwickelten Keramiken sorgten bei den Untersuchungen für einige Überraschungen. Zusammensetzungen, für die in der Theorie eine hohe kinematische Kompatibilität vorausgesagt wurde, reagierten beim Abkühlen auf teils extreme Art und Weise. Bei einem Zirkonium-Anteil von 90 Prozent zu zehn Prozent Hafnium explodierte das Material beispielsweise beim Phasenübergang, wodurch der wenige Millimeter große Keramikbrocken mehrere Zentimeter in die Luft geschleudert wurde.
Weinende Keramik
Ein anderes faszinierendes Verhalten zeigte die Keramik mit 100 Prozent Zirkonium: Beim Abkühlen zerfiel der Brocken nach und nach in feines Pulver. Die Wissenschaftler bezeichneten diesen Prozess als „weeping“, also Weinen. Die theoretische kinematische Kompatibilität erwies sich für die Wissenschaftler nach diesen Ergebnissen demnach nicht als gutes Maß, um eine Keramik mit reversiblen Eigenschaften zu finden.
Für weitere Keramikmischungen setzten sie deshalb auf ein anderes Kriterium: die Äquidistanz des Gitters. Je höher diese ist, desto konstanter sind die Abstände innerhalb der Gitterstrukturen. Die so konzipierten Keramiken, mit beispielsweise einem Zirkonium-zu-Hafnium-Verhältnis von 45 zu 55, zeigten dann reversible Vorgänge. Sie konnten beim Erhitzen und Abkühlen problemlos zwischen verschiedenen Phasen hin- und herwechseln, ähnlich wie ein Formgedächtnismaterial.
Vielseitige Anwendungen
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass in einem chemisch homogenen keramischen System eine Vielfalt von Verhaltensweisen möglich ist – von reversibel im einen Extrem bis hin zu explosiv im anderen“, so die Forscher. „Diese Konzepte könnten sich bei der derzeitigen Suche nach einer Oxidkeramik mit Formgedächtnis als entscheidend erweisen.“
Neben der grundsätzlichen Reversibilität der Strukturen interessieren sich die Wissenschaftler aber noch für eine andere mögliche Anwendung der neuen Materialien. „Was uns am meisten begeistert, ist die Aussicht auf neue ferroelektrische Keramiken. Bei diesem Material kann die Phasenumwandlung genutzt werden, um aus kleinen Temperaturunterschieden, die dabei auftreten, Strom zu erzeugen“, sagt James. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03975-5)
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel