Physik

Fata Morgana im Quantenkäfig

Computerberechnungen enthüllen bisher rätselhafte Vorgänge in Nanostrukturen

Spinpolarisation der Oberflächenelektronen innerhalb eines Quantenkäfigs © Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik

Mit Hilfe von Computerberechnungen ist es deutschen Wissenschaftlern zum ersten Mal gelungen, die bisher rätselhaften Vorgänge in „Quantenkäfigen“ im Detail nachzuvollziehen. Diese Gebilde werden in einzelnen Schritten aus wenigen Dutzend Atomen künstlich in Form einer ovalen Miniaturschachtel zusammengesetzt und sind nur wenige Nanometer klein.

Platziert man einzelne magnetische Atome in das Innere, lässt sich – das zeigen die Berechnungen – deren Kopplung gezielt so verändern, dass sie sich entweder „ferromagnetisch“ (parallele magnetische Momente) oder „antiferromagnetisch“ (entgegengesetzt gerichtete magnetische Momente) einstellen. Das entspricht dem klassischen binären Code von Computerchips, der entweder als 0 oder 1 definiert ist – allerdings auf der denkbar kleinstmöglichen Speicherfläche:

„Quantenkäfige könnten der Ausgangspunkt für künftige Datenübertragungen auf atomarer Skala sein, damit ließe sich im Vergleich zu den heute üblichen PC-Festplatten das Millionenfache an Informationen speichern“, bestätigen die Wissenschaftler Valeri Stepanyuk, Larissa Niebergall, Wolfram Hergert und Patrick Bruno vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik und der Martin-Luther-Universität in Halle. „Die Vorhersagen aus den Berechnungen ermöglichen uns jetzt, als Quanten-Ingenieure solche Nanostrukturen mit ganz bestimmten magnetischen Eigenschaften zu konstruieren.“ Ihre Ergebnisse haben die Forscher in der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

Neue Chancen durch „bottom-up“-Strategie

Zwei Wege verfolgen die Physiker, um Nanostrukturen, benannt nach dem griechischen Wort „nanos“, der Zwerg, herzustellen: Beim „top-down“-Vorgehen werden größere elektronische Bauelemente „von oben nach unten“ immer weiter verkleinert. In umgekehrter Richtung, von „unten nach oben“, geschieht die „bottom-up“-Entwicklung: Atom für Atom werden die elementaren Bausteine der Materie zu Nanostrukturen zusammengesetzt.

Wichtigstes Werkzeug ist dabei das Rastertunnelmikroskop (RTM). Damit lassen sich auf einer Metalloberfläche einzelne, locker angelagerte – adsorbierte – Atome zu Systemen mit nahezu beliebiger Form anordnen. „Diese ‚bottom-up’-Strategie bietet phantastische Möglichkeiten, einzelne Atome, deren Wechselwirkungen und Dynamik zu manipulieren“, erläutern die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik. „Das eröffnet vollkommen neue Chancen für die Datenverarbeitung: Informationsübertragung ohne den bei konventioneller Elektronik notwendigen Stromtransport. Denn im Gegensatz zu größeren Anordnungen spielen in physikalischen Systemen von atomarer Dimension andere Kräfte und Wechselwirkungen, nämlich Quanteneffekte, eine vorherrschende Rolle.“

Flüstergalerien im Nanomaßstab

Auch große, ellipsenförmige Konstruktionen zeigen Erscheinungen, die auf Anhieb nicht ohne weiteres erkennbar sind. Beispielsweise wird Licht, das von dem einen Brennpunkt ausgeht, in dem anderen Brennpunkt eines elliptischen Spiegels gesammelt. Nach diesem Prinzip haben Baumeister in der Vergangenheit etwa in der St. Paul’s Cathedral London so genannte akustische Flüstergalerien gestaltet: In manchen Gebäuden ist ein nahe der Mauer leise gesprochenes Wort auf der gegenüberliegenden Seite in zig Metern Entfernung deutlich zu verstehen, während ein in der Mitte der Kirche stehender Lauscher davon überhaupt nichts hört.

Das funktioniert ebenso im atomaren Bereich. Die Wissenschaftler Hari C. Manoharan, Christopher P. Lutz und Don Eigler vom Almaden Research Center in San Jose, Kalifornien, hatten als Erste eine nanokleine Flüstergalerie für Quantenzustände verwirklicht und dafür ein Patent erhalten. Aus 36 sorgfältig angeordneten Kobalt-Atomen konstruierten die US-Physiker einen elliptischen Quantenkäfig auf einer kristallinen Kupfer-Oberfläche. Als die Wissenschaftler dann zusätzlich in den einen Brennpunkt ein einzelnes magnetisches Kobalt-Atom setzten, erlebten sie eine Riesenüberraschung: Auch im zweiten Brennpunkt zeigte sich ein deutliches Signal, obwohl dieser Platz leer war.

Rechner verraten Magneteigenschaften

Theoretische Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass diese „Fata Morgana“ das Ergebnis der resonanten Streuung von Oberflächenelektronen am magnetischen Atom im Brennpunkt und an den Atomen der Käfigwand ist. Mithilfe der so genannten „ab initio“ ( = lateinisch: von Anfang an)-Verfahren können allein aus den Grundgleichungen der Quantenmechanik, den „ersten Prinzipien“ und der chemischen Zusammensetzung des Systems so das elementare Zusammenspiel einzelner Atome und ihrer Elektronen, und damit auch die lokalen magnetischen Eigenschaften, berechnet werden.

Dabei verfolgen die Wissenschaftler das Ziel, die magnetische Ausrichtung jedes einzelnen Atoms kontrolliert verändern zu können. Abhängig ist dieses magnetische Moment von der Orientierung – den Spins – der Elektronen. Sie können sich grundsätzlich nur in zwei entgegensetzte Richtungen einstellen: Entweder mit „Spin nach oben“ oder mit „Spin nach unten“. Nur wenn diese „Quantenkreisel“ alle zusammen in einer gemeinsamen Richtung rotieren, entsteht Magnetismus. Voraussetzung dafür sind demnach einheitlich „spinausgerichtete“ – polarisierte – Elektronen.

„Fata Morgana“ entschlüsselt

Ihre erste „ab initio“-Berechnung führten die Forscher ahand der Spinpolarisation der Oberflächenelektronen in einem elliptischen Quantenkäfig von Kobalt-Atomen auf der in (111)-Gitter-Richtung aufgebauten Kupfer-Oberfläche durch. Und fanden dabei eine bisherige Vermutung bestätigt: Eine Netto-Spinpolarisation ist die Ursache der „Fata Morgana“-Erscheinung.

Diese Methode wenden die Hallenser Grundlagenforscher nun an, um den Einfluss von Quantenkäfigen auf die Wechselwirkung jener auf der Kupfer(111)-Oberfläche adsorbierten magnetischen Atome – die so genannten Adatome – zu untersuchen. Denn die Wechselwirkung der Adatome auf der freien Oberfläche wird durch die Oberflächenelektronen bestimmt und ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der Adatome. Dabei haben die „ab initio“-Berechnungen gezeigt: Dieser schwache Effekt lässt sich durch Quantenkäfige verstärken.

Daraus ergibt sich: Im Vergleich mit der freien Oberfläche können die Wechselwirkungen verstärkt und der Charakter der Kopplung verändert werden: Antiferromagnetische Kopplung lässt sich damit in ferromagnetische Kopplung umwandeln. Die Kopplung hängt aber auch von der Exzentrizität, also der Form des elliptischen Käfigs ab. Für die Physiker des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik und der Martin-Luther-Universität steht damit fest: „Das beweist, dass man durch die Wahl der Geometrie des Quantenkäfigs die magnetische Wechselwirkung von zwei Adatomen in weiten Grenzen modifizieren kann.“

(MPG, 08.06.2005 – NPO)

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