Physik

Flüssiges Wasser bei 170 Grad

Röntgenlaser XFEL enthüllt anomale Dynamik des Wassers bei ultraschnellem Erhitzen

Wasser im XFEL
Unter Röntgenlaser-Beschuss verhält sich Wasser anders als erwartet – es bleibt zunächst flüssig und zeigt auch eine anomale Dynamik. © DESY/ Britta Liebaug

Überraschend träge: Unter Extrembedingungen lässt sich Wasser bis auf gut 170 Grad aufheizen, ohne dass es verdampft, wie nun Experimente im Röntgenlaser enthüllen. Zumindest rund 100 Mikrosekunden lang blieben die Wassermoleküle im flüssigen Zustand. Ihr dynamisches Verhalten weicht zudem von der erwarteten Molekularbewegung ab – die theoretischen Modelle können diese Extremzustände bislang nicht beschreiben.

Wasser ist ein „Allerwelts-Molekül“ – und doch ein Sonderling. Denn es hat gleich mehrere Eigenheiten, darunter die Dichteanomalie, die Eigendissoziation, aber auch die Fähigkeit, trotz Frost flüssig zu bleiben. Unter bestimmten Bedingungen kann das Wassermolekül zudem sein Dipolmoment verlieren und so zu elektrisch „totem“ Wasser werden. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Wasser in Wirklichkeit aus zwei Flüssigkeiten besteht.

Wasser unter Röntgenbeschuss

Eine weitere Eigenheit haben nun Forscher um Felix Lehmkühler vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) aufgedeckt. Für ihr Experiment beschossen sie eine kleine, in einem Quarzglasröhrchen eingeschlossenen Wassermenge mit den ultraschnellen Röntgenpulsen des European XFEL in Hamburg. Dieser Röntgenlaser kann bis zu 27.000 ultrakurze Röntgenblitze pro Sekunde erzeugen.

„Wir haben uns gefragt, wie lange und wie stark sich Wasser im Röntgenlaser aufheizen lässt und ob es sich dann immer noch wie Wasser verhält“, erklärt Lehmkühler. Würde die Probe sofort verdampfen? Wie gleichmäßig heizt sie sich auf? Und wie verhalten sich die Moleküle dabei? Um das herauszufinden, nutzten die Wissenschaftler Röntgenpulse im Abstand von weniger als einer millionstel Sekunde. Sie ermöglichten es, selbst ultraschnelle Veränderungen wie in einer Reihe von Schnappschüssen einzufangen.

170 Grad heiß und nicht verdampft

Das überraschende Ergebnis: „Mit den Röntgenblitzen konnten wir das Wasser innerhalb einer zehntausendstel Sekunde auf bis zu 172 Grad Celsius aufheizen, ohne dass es verdampft ist“, berichtet Lehmkühler. Die Bewegung und Anordnung der Wassermoleküle entsprachen nicht der von Wasserdampf, sondern eher denen von flüssigem Wasser, wie die Aufnahmen enthüllten. „Das deutet darauf hin, dass sich die Probe in einem noch immer flüssigen Zustand befand – zumindest bis zu 100 Mikrosekunden lang“, so die Forscher.

Eine solche Überhitzung ohne Verdampfen bezeichnet man auch als Siedeverzug. Er kommt zustande, wenn der Druck von außen größer ist als der Druck der sich bildenden Gasblasen im Wasser. Beim Wasser war bislang ein Siedeverzug bis etwa 110 Grad bekannt. Die Experimente im Röntgenlaser belegen nun, dass Wasser unter extremen Bedingungen auch bis gut 170 Grad flüssig bleiben kann.

Abweichung von den theoretischen Modellen

„Das ist jedoch nicht die einzige Besonderheit“, betont Lehmkühler. Denn ergänzende Tests mit Siliziumdioxid-Nanokügelchen in der Wasserprobe enthüllten auch eine ungewöhnliche Dynamik beim Erhitzen. „In dem extrem überhitzten Wasser haben wir beobachtet, dass die Bewegung der Siliziumdioxid-Nanokügelchen deutlich von der erwarteten zufälligen Brownschen Molekularbewegung abwich“, berichtet der Physiker.

Die Wassermoleküle bewegten sich nicht so, wie es die Modelle beispielsweise in Form der Stokes-Einstein-Gleichungen zur Diffusion beschreiben. „Das deutet auf ein ungleichmäßiges Aufheizen der Probe hin“, sagt Lehmkühler. Wie sich das Wasser dabei verhält, lasse sich jedoch noch nicht mit den bestehenden theoretischen Modelle erklären.

„Unsere Ergebnisse liefern damit nicht nur die überraschende Beobachtung einer anomalen Dynamik, sondern zeichnen auch ein detailliertes Bild davon, wie sich wässrige Proben im Röntgenlaser erwärmen“ fasst Seniorautor Gerhard Grübel von DESY zusammen. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2020; doi: 10.1073/pnas.2003337117)

Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY

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