Doppelter Vorteil: Wissenschaftler haben einen neuen Stahltyp entwickelt, der so fest wie bisherige Hochleistungsstähle, aber rissbeständiger ist. Erreicht wird dies durch eine spezielle Behandlung, die dem Stahl eine besonders stabile Mikrostruktur verleiht. Im Gegensatz zu den gängigen Hochfest-Stählen werden dafür weniger teure Legierungsmetalle und keine aufwändigen Fertigungsprozesse benötigt, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Ob für Autos, Brückenkonstruktionen oder Werkzeuge: Stahl ist einer der wichtigste Werkstoffe unserer Zeit – und die Ansprüche an ihn sind hoch. Das Material soll einerseits starkem Druck oder Zug widerstehen und Schlägen standhalten. Andererseits muss der Stahl zäh genug sein, um bei Verformung keine Risse zu bilden. Das Problem jedoch: Häufig ist eine höhere Festigkeit mit zunehmender Sprödigkeit des Stahls verknüpft.
Auf die Mikrostruktur kommt es an
Umgehen lässt sich dieses Dilemma einerseits, indem man dem Stahl andere Metalle wie Nickel, Kobalt, Mangan oder Molybdän zusetzt. Dadurch entstehen Legierungen, deren Mikrostruktur das Material stabil, rissfest und formbar zugleich macht. Allerdings haben solche unter anderem in der Luftfahrt oder für spezielle Werkzeuge eingesetzten Maraging-Stähle einen erheblichen Nachteil: „Eine ökonomische Massenproduktion und ein Recycling sind wegen der hohen Kosten und Umweltauswirkungen nicht praktikabel“, erklären Li Liu von der University of Hongkong und ihre Kollegen.
Eine andere Möglichkeit ist es, die Mikrostruktur des Stahls durch gezielte Behandlung wie Erhitzen, Abschrecken oder Verformen zu manipulieren. Ziel ist es dabei, die beiden Gitterstruktur-Varianten des Stahls, Austenit und Martensit, in ein optimales Verhältnis und eine günstige Anordnung zu bringen. Austenit kann sich unter Druck verformen und verleiht dem Stahl Formbarkeit und ein Formgedächtnis. Dabei wandelt er sich in das härtere, aber sprödere Martensit um.
„Blätterteig“ aus Austenit und Martensit
Liu und ihre Kollegen haben nun eine Methode entwickelt, durch die Stahl eine Art „Blätterteigstruktur“ bekommt – ultradünne Schichten aus Austenit und Martensit wechseln sich so ab, dass das Material hochfest wird, gleichzeitig aber die Ausbreitung von Rissen verhindert. Ausgangspunkt ist ein Stahl, dem 9,95 Prozent Mangan, 0,44 Prozent Kohlenstoff, 1,87 Prozent Aluminium und 0,67 Prozent Vanadium zugesetzt sind.
Anfangs besteht dieser Stahl fast vollständig aus Austenit-Körnchen, die durch Warmwalzen länglich ausgezogen werden. „Beim anschließenden Kaltwalzen wandelt sich das Austenit teilweise in Martensit um, wodurch eine lamellare Duplex-Mikrostruktur aus beiden Strukturen entsteht“, berichten die Forscher. Im letzten Schritt sorgt eine Partitionierung dafür, dass der im Stahl gelöste Kohlenstoff vom Martensit in das Austenit übergeht.
Zäh wie Titan, aber doppelt so fest
Das fertige Resultat ist ein Stahl, in dem feine, schichtweise versetzte Lamellen aus länglichen Austenit-Körnchen in die Martensit-Matrix eingebettet sind. Wie Tests ergaben, macht diese Struktur das Material nicht nur hochfest, es verhindert auch die Ausbreitung von Rissen im Stahl. Durch die sogenannte „Multi-Delamination“ weichen die Mikrolamellen zwar unter Druck leicht auseinander und absorbieren so einen Teil der Energie. Weil die Schichtstruktur aber trotzdem in sich stabil bleibt, bilden sich keine größeren Risse.
Konkret kann dieser Stahl dadurch einem Druck von rund zwei Gigapascal widerstehen und ist noch bei 102 Megapascal rissfest, wie Liu und ihre Kollegen berichten. Damit sei er mit der Festigkeit der besten Maraging-Stähle vergleichbar, habe aber die doppelte Zähigkeit. „Unser Stahl ist zudem genauso zäh wie Titan, aber doppelt so fest“, so die Forscher.
Von der Luftfahrt bis zum Brückenkabel
„Mit diesem Stahl haben wir eine beispiellose Kombination von Festigkeit und Zähigkeit erreicht, die für den Herausforderungen sicherheitskritischer Industrieanwendungen gewachsen ist“, sagt Lius Kollege Mingxin Huang. Gleichzeitig habe dieser Stahl den Vorteil, dass er einfach industriell hergestellt werden kann und geringe Rohmaterialkosten verursacht. „Wir sind damit einen Schritt näher an der Industrialisierung neuer Superstähle“, so Huang.
Anwendungen für ihren Stahl sehen die Forscher unter anderem in Brückenkabeln, der Luftfahrt, für gepanzerte Fahrzeuge oder Leichtbau-Autos, aber auch in Nieten und Bolzen für die Bauindustrie. Die Wissenschaftler kooperieren bereits mit Industriepartnern unter anderem in den USA, um Prototypen solcher Anwendungen aus ihrem Stahl zu produzieren. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.aba9413)
Quelle: The University of Hong Kong