Chemie

Geburt eines Eisenkristalls gefilmt

Eisenkeim klärt widersprüchliche Theorien zum Beginn der Kristallisation

Pyritkristall
So altbekannt Kristalle wie dieser Eisensulfid-Kristall sind, so ungeklärt sind die ersten Schritte der Kristallisation. © Didier Descouens/CC-by-sa 4.0

Erst amorph, dann geordnet: Forscher haben erstmals live die Geburt eines winzigen Eisenkristalls im Elektronenmikroskop beobachtet. – und so eine fundamentale Frage zur Kristallisation geklärt. Denn die Aufnahmen enthüllen, dass die Eisenatome sich zunächst amorph zusammenballen, bevor sie sich zu einer geordneten Gitterstruktur formieren. Das widerlegt die „Ein-Schritt“-Theorie der Kristallbildung – zumindest für Eisen, Gold und Rhenium.

Kristalle sind allgegenwärtig, denn in den meisten Feststoffen sind die Atome oder Moleküle in einer geordneten Gitterstruktur angeordnet. Die Vielfalt der Kristallstrukturen reicht dabei von den unzähligen Varianten des Wassereises über die kompakte und stabile Struktur des Diamanten bis zu den beeindruckenden Riesenkristallen in der Höhle von Naica in Mexico oder der Geode von Pulpi in Spanien.

Erst amorph oder direkt geordnet?

Doch der erste Schritt der Kristallisation – von einzelnen Atomen zu den Anfängen eines Gitters – gibt noch immer Rätsel auf. Denn diese sogenannte Nukleation findet in kleinstem Maßstab statt – als kritische Grenze für die Kristallbildung gilt die Zusammenballung von nur 100 bis 1.000 Atomen. Sie aber lassen sich nur schwer in Aktion beobachten, so dass sich Wissenschaftler mit Modellen behelfen.

„In der Standardliteratur gab es bislang zwei Modelle, wie das Keimen eines Kristalls ablaufen könnte“, erklärt Seniorautorin Ute Kaiser von der Universität Ulm. „Eines ging davon aus, dass sich Atome, ähnlich wie Legosteine, einer nach dem anderen aneinandersetzen und so das Kristallgitter bilden. Das zweite Modell nahm an, es könnte eine ungeordnete Zwischenphase geben, aus der heraus sich der Kristall bildet.“

Nanoröhrchen als „Reagenzglas“

Mithilfe eines raffinierten Tricks ist es Kaiser und ihrem Team nun gelungen, die Nukleation von Eisen, Rhenium und Gold erstmals quasi live mitzuverfolgen. Das entscheidende Hilfsmittel dafür waren einwandige Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die als „Reagenzgläser“ für die Eisen-Kristallisation dienten. Die Nanoröhrchen erscheinen im Elektronenmikroskop transparent und bieten gleichzeitig eine geschützte und kontrollierte Umgebung für die Nukleation.

Den Anfang macht dabei ein Klumpen aus nur drei Eisenatomen , der an die Wand des Kohlenstoffröhrchen angelagert ist. Dann werden weitere Eisenatome in das Röhrchen gegeben. „Der Strahl des Transmissions-Elektronenmikroskops liefert dabei nicht nur die Bilder, sondern stimuliert auch den Nukleationsprozess, indem er kinetische Energie von den Elektronen auf die Atome überträgt“, erklären die Forscher.

Durch diesen Aufbau gelang es den Wissenschaftlern, erstmals die Geburt eines Eisenkristalls zu beobachten – bei einer Auflösung von einem Bild pro Sekunde praktisch in Echtzeit.

Nukleation
Nukleation von Eisen-, Gold- und Rhenium-Atomen: vom individuellen Atom über die Phase amorpher Nanocluster bis hin zum geordneten Kristallisationskeim. © Kecheng Cao / Uni Ulm

Vom Klumpen zum Gitter

Die Aufnahmen enthüllten: Wenn sich die Eisenatome allmählich zu immer größeren Ansammlungen zusammenfinden, geschieht dies zunächst amorph: Die Eisenatome ballen sich zu einem ungeordneten, metastabilen Klumpen zusammen, in dem sich die einzelnen Atome jederzeit verschieben können. Erst wenn der Klumpen eine gewisse Größe erreicht hat, wandelt sich seine Struktur von einer amorphen Form in ein Kristallgitter.

„Wir haben herausgefunden, dass die Atome erst oberhalb einer kritischen Anzahl zwischen zehn und 20 Atomen beginnen, sich zu einer regelmäßigen Gitterstruktur zu ordnen“, berichtet Erstautor Kecheng Cao von der Universität Ulm. Einen ähnlichen Ablauf beobachteten er und seine Kollegen auch bei der Nukleation von Gold und Rhenium in ihrem „Reagenzglas“-Nanoröhrchen. Auch bei diesen Metallen entstand zuerst ein amorpher Atomklumpen, der sich erst in einem zweiten Schritt ordnete.

Nukleation verläuft zweistufig

„Damit konnten wir den Beweis erbringen, dass die Keimbildung von Kristallen auf einem zweistufigen Nukleations-Mechanismus basiert“, sagt Cao. Zumindest die drei beobachteten Metalle müssen demnach zwei Energiebarrieren überwinden, um zu kristallisieren: Die erste beim Übergang von Einzelatomen zum amorphen Klumpen, die zweite bei der Ordnung zum Kristallgitter.

„Einen Schlusspunkt für unsere Forschung bedeutet diese bahnbrechende Beobachtung aber nicht“, betont Kaiser. „Denn bei anderen Materialien könnte es abweichende Abläufe geben. Wir wollen daher auch komplexere Materialien wie beispielsweise Metalllegierungen auf ihr Kristallisationsverhalten untersuchen.“ (Nature Chemistry, 2020; doi: 10.1038/s41557-020-0538-9)

Quelle: Universität Ulm

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