In polaren Eiswolken können Eiskristalle auch bei minus 90 Grad Celsius von einem flüssigen Mantel umgeben sein. Dies haben Innsbrucker Chemiker jetzt gezeigt. Diese Entdeckung liefert eine wichtige Erklärung für Mechanismen bei der Entstehung des Ozonlochs, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Chemistry“.
Alles begann mit einem Rätsel, vor das Nobelpreisträger Mario Molina seine Mitarbeiter Anfang der 2000er-Jahre stellte. Thomas Lörting – heute am Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck – und Anatoli Bogdan arbeiteten damals in dessen Labor am Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.).
Den Eigenschaften der Polarwolken auf der Spur
Der Mexikaner war 1995 für die Erforschung der Zerstörung der Ozonschicht mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Er hatte bereits 1974 den zerstörerischen Einfluss von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) auf die Ozonschicht vorhergesagt. Dies führte letztlich zu einer starken Einschränkung des FCKW-Ausstoßes und einem langsamen Rückgang des Ozonlochs.
Wie die vor allem in der nördlichen Hemisphäre produzierten Fluorchlorkohlenwasserstoffen in die Stratosphäre aufstiegen und sich über den gesamten Globus ausbreiteten, war bereits bekannt. Auch wusste man, dass die schädlichen Verbindungen oberhalb der Ozonschicht vom UV-Licht der Sonne aufgespalten werden und sich dabei neben Fluor und Kohlenwasserstoffen für die Ozonschicht schädliche Chlorverbindungen bilden.
Diese liegen normalerweise als inaktive Reservoirverbindungen vor, werden aber auf polaren Eiswolken in aktive Verbindungen umgewandelt, weshalb das Ozonloch auch alljährlich nur über den Polen entsteht. Jenes Rätsel nun, das Molina seinen Mitarbeitern aufgab, war die Frage, welche Eigenschaften der Polarwolken diesen zerstörerischen Prozess anstoßen.
Flüssiger Mantel
„Die herkömmliche Theorie ging davon aus, dass die Kristalle in den polaren Eiswolken vollständig gefroren sind“, erzählt Lörting. „Wir haben damals schon untersucht, ob auch an deren Oberfläche Flüssigkeit vorhanden sein könnte.“ Aber erst vor kurzem ist es Lörting gemeinsam mit seinem Team gelungen, diesen Prozess im Labor zu simulieren. Dazu haben die Wissenschaftler Wassertröpfchen, die der chemischen Zusammensetzung in den Eiswolken entsprechen, langsam abgekühlt.
„Mit thermischen Analysen und im Mikroskop konnten wir beobachten, dass die Eiskristalle sich im Inneren der Tröpfchen bilden und auch bei minus 80 oder minus 90 Grad Celsius, der Temperatur der Stratosphäre über den winterlichen Polen, ein flüssiger Mantel erhalten bleibt“, schildert der Chemiker. „Dies hängt mit den chemischen Beimischungen zusammen: Die Wassertröpfchen enthalten Salpetersäure und Schwefelsäure, die nach der Bildung der Eiskristalle in der Flüssigkeit angereicht werden und wie ein Gefrierschutz wirken.“ Bisher hatte man angenommen, dass sich die Säuren im Inneren der Eiskristalle sammeln.
Eiswolken bilden Milieu für chemische Reaktionen
Die von Lörting und seinen Kollegen entdeckte Flüssigkeitsschicht auf den Eiskristallen bildet ein ideales Milieu für chemische Reaktionen und könnte die rasche Bildung der zerstörerischen Chlorverbindungen in den nur teilweise gefrorenen Tröpfchen der stratospherischen Wolken erklären. Wenn nach den kalten Polarnächten über den Polen die Sonne wieder aufgeht, verdampfen die Eiswolken und mit ihnen die aktiven Chlorverbindungen, die dabei das umgebende Ozon in Sauerstoff umwandeln und damit die Ozonschicht in der Stratosphäre zerstören, die uns vor dem UV-Licht schützt.
„Dies erklärt auch, warum andere Oberflächen, wie Staub, Ruß oder Salzteilchen nicht den gleichen Prozess in Gang setzen“, erläutert Lörting. „Es sind die spezifischen Bedingungen in den polaren Eiswolken, die die Zerstörung der Ozonschicht befördern.“
Wie kommt es zur Zerstörung der Ozonschicht?
In Zukunft will er mit seinem Team die eiskalten Tröpfchen noch genauer untersuchen. „Wir wollen zum Beispiel wissen, wie dick diese Flüssigkeitsschicht um die Eiskristalle wirklich ist und wie schnell chemische Reaktionen darin ablaufen können“, sagt der Chemiker. Dies könnte weiteren Aufschluss über den genauen Ablauf der chemischen Reaktionen geben und die Prozesse weiter erhellen, die zur Zerstörung der Ozonschicht führen.
(Universität Innsbruck, 01.02.2010 – DLO)