Wie im Gehirn folgt auch im mathematischen Modell die Dynamik neuronaler Signalweitergabe keiner erkennbaren Ordnung – in scheinbar unvorhersehbarer Weise senden die Nervenzellen Impulse. Aber wie unvorhersehbar ist ein solches System wirklich?
Chaotische Systeme sind unvorhersagbar – eigentlich
„Chaotisch“ nennen Wissenschaftler ein System, in dem geringfügige Unterschiede in den Anfangsbedingungen zu völlig verschiedenen Entwicklung führen können. Das Verhalten chaotischer Systeme lässt sich nicht langfristig vorhersagen. „Der Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas-Urwald kann einen Orkan in Europa auslösen“, so veranschaulichte in den 1960ern der Mathematiker und Meteorologe Edward N. Lorenz diesen Effekt.
Im Jahre 1996 zeigten Wissenschaftler an der Hebrew University in Israel in einer theoretischen Studie, dass die im Gehirn beobachtete irreguläre neuronale Aktivität ebenfalls durch ein solches chaotisches Verhalten begründet werden kann. Das Netzwerk würde demnach eine ganz andere Dynamik entwickeln, wenn auch nur ein einzelnes Neuron einen Bruchteil einer Sekunde früher oder später ein Signal aussendet. In den letzten zehn Jahren nahmen nun viele Neurowissenschaftler an, dass solch chaotisches Verhalten grundsätzlich auf der beobachteten Irregularität basiert.
Gehirn manchmal erstaunlich „un-chaotisch“
Dass dies aber nur unter bestimmten Umständen gilt und längst nicht immer der Fall sein muss, haben Timme und seine Kollegen nun herausgefunden. „Eine Kombination verschiedener neuer Methoden hat es uns ermöglicht, jeden einzelnen Impuls eines Neurons im Netzwerk zu berücksichtigen“, so Jahnke. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ein neuronales Netzwerk unter bestimmten Bedingungen gegenüber kleinen zeitlichen Verschiebungen neuronaler Impulse erstaunlich unempfindlich ist.
„Genügend ähnliche Muster neuronaler Aktivität entwickeln keine gänzlich unterschiedliche Dynamik, wie man das von einem chaotischen System erwarten würde, im Gegenteil, sie gleichen sich sogar langfristig aneinander an“, sagt Memmesheimer. Im Gehirn könnte dies dazu beitragen, dass bestimmte Aktivitätsmuster hochgradig präzise in der Zeit auftreten, dass also Information in solchen Netzwerken zeitlich exakt verarbeitet wird, Berechnungen genau ausgeführt werden.
Obwohl das Netzwerk unter statistischen Gesichtspunkten sehr irregulär erscheint, muss es sich dabei nicht um ein chaotisches System handeln, es kann vielmehr auch über längere Zeiträume vorhersagbar sein. „Unter welchen Bedingungen das Gehirn nun chaotisch reagiert und wann es ein vorhersagbares Verhalten zeigt, muss noch genauer untersucht werden“, so Timme. In jedem Falle ist die Dynamik neuronaler Netzwerke, auch wenn sie hochgradig irregulär ist, nicht immer so kompliziert wie lange gedacht.
(Bernstein Centers for Computational Neuroscience, 05.02.2008 – NPO)
5. Februar 2008