Wenn bei der Verteilung von Lebensmitteln oder anderen Hilfsgütern die Wahl zwischen Effizienz und möglichst gleicher Aufteilung besteht, was ist dann die gerechteste Lösung? Ein jetzt in Science veröffentlichtes Experiment amerikanischer Forscher enthüllt, dass wir Menschen instinktiv der Verteilungsgerechtigkeit den Vorrang vor der Effizienz geben, und dass dabei auch das Emotionszentrum im Gehirn aktiv beteiligt ist.
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Wenn es darum geht, etwas zu verteilen, soll es gerecht zugehen. Aber gleichzeitig muss das knappe Gut auch so verteilt werden, dass die Ressourcen möglichst effizient ausgenutzt werden. Was aber, wenn wir das eine nur auf Kosten des anderen erreichen können? Ist dann das Gleichheitsprinzip oder die maximale Effizienz wichtiger? Welche Lösung empfinden wir instinktiv als gerechter? Und welche Rolle spielen die Emotionen bei einer Entscheidung für eine der beiden Lösungen?
Genau diese Fragen haben nun Forscher der Universität von Illinois und dem California Institute of Technology in einer Reihe von Experimenten untersucht. Die Versuchspersonen mussten eine Entscheidung zwischen zwei auf einem Bildschirm präsentierten Lösungen treffen. Dabei zeichneten die Forscher ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) auf.
Entscheidung zwischen zwei Übeln
Die Wissenschaftler erklärten ihren Probanden, dass eine Spende für ein Waisenhaus in Uganda jedem Kind dort ausreichend Geld für 24 Mahlzeiten zur Verfügung stellt. Gleichzeitig müsse jedoch einigen Kindern ein Teil dieser Mahlzeiten wieder abgenommen werden, um weitere Mäuler zu stopfen. Die Versuchspersonen mussten sich nun entscheiden, nach welchem Verteilerschlüssel dies geschehen sollte.
Je nach Entscheidung würden entweder einige wenige Kinder den Großteil der Last tragen, dafür aber möglichst wenige Mahlzeiten verloren gehen. In einer zweiten Variante müssten mehrere Kinder einen Teil ihrer Mahlzeiten abgeben. So konnten die Teilnehmer beispielsweise wählen zwischen der Option, 15 Mahlzeiten von einem Kind zu nehmen oder 13 von einem und fünf von einem anderen. Im ersten Fall wäre der Gesamtverlust geringer und damit die Effizienz gewahrt, dafür aber das betroffene Kind extrem benachteiligt gegenüber den anderen. Im zweiten Fall wäre die Last „gleicher“ verteilt, aber der Mahlzeitenverlust insgesamt größer.
„Dieses Dilemma illustriert die Kernprobleme der Verteilungsgerechtigkeit“, erklärt Ming Hsu von der Universität von Illinois. „Sie beinhalten Kompromisse zwischen Anforderungen, die erfüllt werden sollen, aber nicht gleichzeitig erreicht werden können.“
Tatsächlich entschied sich die große Mehrheit der Probanden für die „gleichere“ Aufteilung zu Lasten der Effizienz. „Sie zeigten alle eine Abneigung gegen die Ungleichheit“, so Hsu. Vielen bereitete die Wahl zwischen zwei wenig optimalen Lösungen geradezu körperliche Pein: „Sie kamen aus dem Scanner und sagten: ‚Das ist das schlimmste Experiment, dass ich jemals mitgemacht habe. So etwas möchte ich nie wieder machen müssen!‘“
Unterschiedliche Hirnbereiche aktiv
Die fMRT-Daten enthüllten, was sich während dieses schwierigen Entscheidungsprozesses im Gehirn abspielte: Je nachdem, in welchen Stadium der Entscheidungsfindung die Probanden waren und welche Entscheidung sie wählten, waren auch verschiedenen Gehirnbereiche aktiv. Wenn die Versuchspersonen Veränderungen der Effizienz betrachteten, stieg die Aktivität im Putamen, einem Kernbereich der Großhirnrinde, an. Ging es um die Abwägung der Gleichheit, war die so genannte Insula besonders aktiv. Nach gefällter Entscheidung trat dagegen wieder eine andere Region auf den Plan, die so genannte Caudate, die sowohl Effizienz als auch Gleichheit zu integrieren schien.
Emotionsareal beteiligt
Interessant für die Forscher war vor allem die Beteiligung der Insula, gilt sie doch als Schlüsselareal für die Wahrnehmung von Emotionen und körperlichen Zuständen. Sie wird beispielsweise aktiviert, wenn wir Hunger verspüren, aber auch intensive Gefühle wie Angst, Ekel oder Glück. Neuere Studien zeigen, dass auch das Gefühl für Fairness hier seinen Sitz zu haben scheint. Das Putamen dagegen spielt eine wichtige Rolle im Belohnungssystem beim Lernen.
Die Ergebnisse zeigen, wie das Gehirn zwei zentrale Abwägungen der Verteilungsgerechtigkeit kodiert“, erklärt Hsu. „Es wirft auch Licht auf die Debatte über die psychologischen Grundlagen solcher Entscheidungen.“
(University of Illinois at Urbana-Champaign, 09.05.2008 – NPO)