Simpel, aber erstaunlich effektiv: Forscher haben eine Zentrifuge konstruiert, die rekordverdächtig billig, simpel und effektiv ist. Mit ihr könnten Ärzte selbst im tiefsten Urwald und ohne Strom Blutproben für die Analyse vorbereiten. Der Clou dabei: Die Zentrifuge ist von einem tausende Jahre alten Kinderspiel abgeguckt: Einer Pappscheibe, die zwischen zwei verzwirbelten Schnüren rotiert. Kombiniert man sie mit winzigen Probenbehältern, wird sie zum Medizingerät.
Wenn es um die medizinische Diagnostik geht, ist die Zentrifuge unverzichtbar. Denn erst sie trennt bei Blutproben das Plasma von den Blutzellen oder reinigt andere biologische Proben wie Urin oder Speichel von unerwünschten Komponenten und macht damit weitere Analysen möglich. Typischerweise fehlt daher die Zentrifuge heute in keinem biotechnologischen oder medizinischen Labor.
Zentrifuge für überall gesucht
Das Problem dabei: „Konventionelle Zentrifugen sind unhandlich, teuer und benötigen Strom“, erklären Manu Prakash und seine Kollegen von der Stanford University. Das aber bedeutet, dass sie beim Feldeinsatz in entlegenen Regionen, im Regenwald oder zerbombten Städten nicht mitgenommen werden können. Doch gerade in solchen Gebieten werden medizinische Hilfe und Diagnostik dringend benötigt.
Um Abhilfe zu schaffen, haben die Forscher überlegt, wie man eine günstige, von Menschenkraft angetriebene Zentrifuge konstruieren könnte, die trotzdem hohe Geschwindigkeiten erzielt. Auf der Suche nach Ideen fiel ihnen ein klassisches, schon vor mehr als 6.000 Jahren gebräuchliches Kinderspielzeug ein: ein Ziehkreisel, der über zwei verzwirbelte Schnüre angetrieben wird.
6.000 Jahre altes Spielzeug als Vorbild
Das Prinzip ist simpel: Der Kreisel besteht aus einer dünnen Scheibe aus Holz oder Pappe, in die in der Mitte zwei Löcher gebohrt sind. Durch diese wird eine Schnur gefädelt und durch Schwingen der Scheibe ineinander verzwirbelt. Zieht man nun an beiden Ende der verdrehten Schnur, entzwirbelt sich die Schnur und bringt dabei die Scheibe in schnelle Rotation.
Ihr Schwung sorgt dafür, dass der Kreisel bei vollständiger Entzwirbelung der Schnur nicht stoppt, sondern diese nun in der anderen Richtung wieder eindreht. Wird nun erneut an den Enden der Schnur gezogen, treibt dies die Scheibe erneut an. Diese Zyklen lassen sich beliebig oft wiederholen – bis der Spieler die Lust daran verliert.
125.000 Umdrehungen pro Minute
Die Idee von Prakash und seinen Kollegen: Warum nicht die schnelle Rotation dieses Ziehkreisels als Zentrifuge nutzen? Um das Spielzeug zum Medizinhelfer umzurüsten, muss die Scheibe nur um dünne Behälter für Blutproben ergänzt werden. Dies lässt sich bei Pappscheiben durch Aufkleben erzielen oder indem man eine Scheibe mit passenden Behältern einfach mittels 3D-Drucker ausdruckt.
Aber erreicht diese Selbstbau-Zentrifuge auch nötige Tempo? Um das herauszufinden, bastelten die Forscher verschiedenen Modelle ihrer „Paperfuge“ getauften Konstruktion und ermittelten mittels Highspeed-Kamera, welche Umdrehungszahl sich im Handbetrieb damit erreichen lässt.
Das erstaunliche Ergebnis: Die schnellste Paperfuge schaffte 125.000 Umdrehungen pro Minute. „Unseres Wissens nach ist das die schnellste Rotationsgeschwindigkeit, die je mit einem von Menschenkraft getriebenen Gerät erreicht wurde“, sagen die Forscher. „Wir haben diesen Rekord daher bereits bei den Guinness World Records eingereicht.“
Praxistest mit Blutproben erfolgreich
Noch wichtiger aber war das Ergebnis der medizinischen Praxistests: Als die Wissenschaftler ihre Paperfuge mit Blutproben befüllten, reichten schon 1,5 Minuten des Rotierens bei 20.000 Umdrehungen pro Minute aus, um das Plasma von den Zellbestandteilen zu trennen, wie sie berichten. Die aus diesen Proben ermittelten Hämatokritwerte stimmten mit Kontrollproben aus einer herkömmlichen Laborzentrifuge überein.
Sogar die Diagnose von Malaria wird mit Hilfe der simplen Handzentrifuge innerhalb von 15 Minuten möglich, wie die Forscher berichten. Auch dafür muss das Blut zunächst in seine Bestandteile aufgetrennt werden. Die einzelligen Plasmodium-Erreger sammeln sich dann in bestimmten Dichtezonen an der Grenze von Plasma und Zellschicht und können dort mit dem Mikroskop aufgespürt werden.
20 Cent Kosten, zwei Gramm Gewicht
„Das belegt, dass solche ultrabilligen, stromlosen Zentrifugen ganz neue Chance für die Diagnostik an ressourcenarmen Standorten eröffnen“, konstatieren die Forscher. Denn ihre Paperfuge funktioniert nicht nur überall und kann problemlos von Laien bedient werden. Sie lässt sich zudem aus einfachsten Materialien herstellen, darunter Pappe, Holz oder Plastik
Ein weiterer Vorteil: Die gesamte Zentrifuge kostet im einfachsten Fall gerade einmal 20 Cent und wiegt nur rund zwei Gramm. Sie kann daher überall mit hingenommen werden. „Unsere Paperfuge ist damit ein Beispiel für sparsame Wissenschaft: Ein einfaches Spielzeug mit komplexer Physik wird zum Werkzeug für globale Gesundheitsanwendungen“, so Prakash und seine Kollegen. (Nature Biomedical Engineering, 2017; doi: 10.1038/s41551-016-0009)
(Nature, 11.01.2017 – NPO)