Manchmal treten nach einem Erdbeben noch einmal starke Erdstöße auf – oft scheinbar aus dem Nichts. Jetzt berichten amerikanische Geophysiker in der Fachzeitschrift „Nature“, dass unterirdische Schallwellen eine wichtige Rolle für das Auslösen dieser Nachbeben spielen. Und, noch überraschender, dass das Gestein in einem Erdbebengebiet eine Art Gedächtnis, ein Reservoir angestauter Energie, haben kann, dass dann selbst schwache Erschütterungen vervielfacht.
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Jedes Erdbeben erzeugt seismische Wellen – Vibrationen, die durch die Erde wandern und physikalisch den Schallwellen ähneln. Diese Wellen können innerhalb eines bestimmten Umkreises vom ursprünglichen Erdbebenherd, maximal mehrere dutzend Kilometer entfernt, Nachbeben auslösen. Lange Zeit nahmen die Geophysiker an, dass sie seismischen Wellen außerhalb dieser Nachbebenzone zu schwach sind, um auch weiter entfernt Erdstöße zu erzeugen.
Rätsel der fernen Nachbeben
Doch jetzt haben Wissenschaftler des Los Alamos Forschungslaboratoriums um Paul Johnson, Joan Gomberg und Chris Marone nachgewiesen, dass die seismischen Wellen selbst tausende von Kilometern entfernt noch als Auslöser für weitere Beben wirken können. „In diesen weiten Entfernungen geschieht das Triggern nicht immer“, erklärt Johnson. „Die Frage war daher immer: Warum? Was ging in den Regionen vor, in denen es zu einem Auslösen kam? Es war eine Herausforderung festzustellen, ob wir ins Labor gehen können und die Bedingungen in der Erde gut genug simulieren können, um das herauszufinden.“
Bebensimulation mit Glasperlen und Platten
Die Antwort auf diese Frage lag an der Pennsylvania State Universität, wo Marone einen Apparat entwickelt hatte, der Erdbeben imitiert, indem er Platten auf einer Schicht von Glasperlen zusammendrückt. Wird genügend Druck ausgeübt, verschieben sich die Platten plötzlich, ähnlich wie die Erdkrustenplatten auf dem Erdmantel. Die Wissenschaftler testeten nun, wie sich Erdbeben-Schallwellen auf dieses System auswirken – allerdings ohne große Hoffnung auf irgendeinen Effekt.
Aber sie wurden eines Besseren belehrt: Zu ihrer großen Überraschung beeinflussten die Schallwellen den Verlauf und das Auftreten von Erdbeben in diesem System deutlich. Wurden sie unmittelbar vor einen Beben durch die Glasperlen geschickt, erzeugten sie entweder kleinere Beben und verhinderten das große, oder aber sie verzögerten das Auftreten des nächste großen Bebens. Die hemmende Wirkung hielt sogar für die Dauer von bis zu zehn Beben an.
Untergrund mit Gedächtnis“
Doch noch Überraschender war die Entdeckung, dass die Perlenmasse eine Art „Gedächtnis“ zu besitzen schien: Anstatt sich nach einem Beben wieder in den Ausgangszustand zu begeben, behielten die Glasperlen auch nach der Entladung der Energie eine veränderte Anordnung bei. „Dieser Gedächtnis-Teil war verblüffend“, so Johnson. „Denn während eines Bebens wird so viel Energie freigesetzt und das Ereignis ist so gewaltig, das man sich wundern muss, warum sich das System danach nicht wieder in den Nullzustand versetzt.“
Ganz offensichtlich kann ein Teil der Energie in der Struktur bestimmter körniger Gesteine gespeichert bleiben, auch nach einem Beben. Trifft dann eine schwache seismische Welle dieses Energiereservoir, wird diese freigesetzt und ein Nachbeben kann so auch weit außerhalb der traditionellen Nachbebenzone ausgelöst werden. “Was wir hier im Labor erzeugt haben, liefert die Basis für ein Verständnis des dynamischen Auslösens von Erdbeben, etwas, das uns seit Jahren Rätsel aufgegeben hat”, erklärt Johnson.
(DOE/Los Alamos National Laboratory, 07.01.2008 – NPO)