Doch nicht unmöglich? Nach den Regeln der Physik kann es ein Teilchen aus vier Neutronen nicht geben – es widerspricht dem Pauli-Prinzip. Jetzt jedoch haben zwei Forschergruppen neue Indizien für ein solches Tetraneutron geliefert. Ein Experiment in Japan könnte Tetraneutronen zumindest indirekt nachgewiesen haben und eine Simulation zeigt, dass ein Resonanz-Effekt solche Neutronenkumpen ermöglichen könnte.
Die Atomkerne der Elemente sind normalerweise aus zwei Bausteinen aufgebaut: ungeladenen Neutronen und positiv geladenen Protonen. Sie werden durch die starke Kernkraft zusammengehalten und sind relativ stabil – wenn man von den radioaktiven Elementen absieht. Anders sieht dies jedoch aus, wenn Neutronen allein vorkommen: Innerhalb von knapp 15 Minuten zerfallen sie in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino.
Geradezu unmöglich jedoch wird das Ganze, wenn man nur mehrere Neutronen zusammengibt: Nach dem Pauli-Ausschlussprinzip können Teilchen im selben System nicht den gleichen Quantenzustand einnehmen. Bei zwei, drei oder vier gruppierten Neutronen wäre aber genau dies der Fall. Die Existenz eines Tetraneutrons galt daher bislang als physikalisch ausgeschlossen – es widerspricht kernphysikalischen Grundannahmen.
Streit ums Tetraneutron
Allerdings: Es gab bereits 2002 erste Hinweise darauf, dass ein solches Teilchen aus vier Neutronen doch existieren könnte. Damals berichteten französische Forscher von einem unerwarteten Ergebnis eines Beschleunigerversuchs. Sie hatten Beryllium-14-Kerne auf Kohlenstoff geschossen und dabei statt vier einzelner Neutronen Signale erhalten, die für ein Teilchen aus vier verbundenen Neutronen sprachen.
Andere Forschergruppen jedoch konnten das Ergebnis dieses Experiments nicht nachvollziehen. Viele Physiker gingen daher davon aus, dass es sich um einen Fehler handelte. Gleichzeitig publizierten Theoretiker mal Modelle, nach denen ein Tetraneutron – und damit eine Ausnahme vom Pauli-Prinzip – möglich wäre, mal nicht.
Das RIKEN-Experiment
Doch inzwischen mehren sich die Hinweise auf Tetraneutronen. Vor wenigen Monaten lieferte ein Experiment am RIKEN-Forschungszentrum in Japan dafür erneut Indizien. Die Forscher ließen im Beschleuniger Helium-4-Kerne mit Helium-8-Kernen kollidieren – letztere tragen vier zusätzliche Neutronen in sich. Normalerweise entstehen dabei zwei Helium-4-Kernen und vier einzelne Neutronen.
Doch der Detektor registrierte diese vier Neutronen nicht. Stattdessen gab es eine winzige, nur zehn Trilliardstel Sekunden dauernde Pause, bis dann Zerfallsprodukte von Neutronen auftauchten – nicht aber die vermissten Neutronen selbst. Aus den Energiebilanzen schlossen die Forscher, dass die vier Neutronen in der „Pause“ ein Tetraneutron gebildet haben mussten. Dieser indirekte Nachweis erreichte immerhin 4,9 Sigma – und damit fast den Status einer Entdeckung.
Möglich durch Resonanz-Effekt?
Unterstützung von theoretischer Seite bekommen die japanischen Forscher nun von Andrey Shirokov von der Moskauer Staatsuniversität und seine Kollegen. Denn sie belegen mit Hilfe von aufwändigen Supercomputer-Simulationen, dass Tetraneutronen durchaus physikalisch möglich sind – wenn auch nur für Trilliardstel Sekunden.
Nach den Berechnungen der Forscher könnte eine Art Resonanz-Effekt dafür sorgen, dass für Sekundenbruchteile das Pauli-Prinzip verletzt werden kann. Dieser Resonanz-Zustand würde bei einer Energie von rund 0,8 Megaelektronenvolt auftreten – das entspricht in etwa den Werten des Experiments am RIKEN. „Das eröffnet ganz neue Forschungsansätze“, sagt Koautor James Vary von der Iowa State University.
Die Fahndung geht weiter
Muss nun das Pauli-Ausschlussprinzip umgeschrieben werden? Dafür dürfte es wohl noch zu früh sein. Sollten jedoch andere Experimente und Forschergruppen die Hinweise auf Tetraneutronen bestätigen, dann käme dies einer physikalischen Revolution gleich. In jedem Falle könnten die nächsten Monate und Jahre interessant werden.
„Wir wissen, dass weitere Experimente bereits in Vorbereitung sind, die präzisere Daten zum Tetraneutron liefern könnten“, sagt Vary. Auch die japanischen Physiker arbeiten bereits daran, ihr Experiment mit noch besseren Nachweismethoden zu wiederholen.
Sollte es Tetraneutronen tatsächlich geben, könnte dies unter anderem erklären, wie Neutronensterne zustande kommen. Diese nur wenige Kilometer großen, aber enorm dichten Sternenreste entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebenszyklus kollabiert. Gängiger Theorie nach bestehen Neutronensterne nicht aus normalen Atomkernen, sondern nur aus Neutronen. Doch wie es dazu kommt, ist bisher unklar. (Physical Review Letters, 20916; doi: 10.1103/PhysRevLett.117.182502)
(Iowa State University/ RIKEN, 07.11.2016 – NPO)