Von wegen simpel: Die Kristallisation des Gipses verläuft deutlich komplexer als bisher angenommen. In vier Schritten entstehen erst winzige Partikel, die sich zusammenballen, Ketten bilden und dann erst unter Wassereinschluss zum endgültigen Kristall umlagern, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten. Der Clou daran: Durch Beeinflussung dieser Schritte lässt sich gezielt steuern, welche Mineralform am Ende entsteht.
Gips gehört zu den sehr häufigen Mineralen der Erdkruste – und wird schon seit Jahrtausenden vom Menschen genutzt. Die Bewohner der jungsteinzeitlichen Siedlung Çatalhöyük verwendeten schon vor 9.000 Jahren Gips für Wandputz und Reliefs, in der babylonischen Großstadt Uruk wurde Gips als Mörtel beim Bau genutzt und die Minoer setzten Gips sogar statt Marmor als Baustein und Fußbodenbelag ein. Noch heute ist Gips ein wirtschaftlich wichtiger Rohstoff.
„Nicht eindeutig verstanden“
„Trotzdem ist die grundlegende Geochemie hinter dem Prozess der Gipsentstehung noch immer nicht komplett verstanden“, erklärt Thomas Stawsky von der University of Leeds. Klar ist zwar, dass das Calciumsulfat-Dihydrat (Ca[SO4]·2H2O) gebildet wird, wenn beispielsweise übersättigte Lösungen von Calciumsulfat auskristallisieren. Bisher ließen sich jedoch die Vorgänge in den frühen Phasen dieses Kristallisationsprozesses nicht eindeutig aufschlüsseln.
Das Problem dabei: Um die mikroskopisch kleinen Kristallkeime sichtbar zu machen, mussten die Proben bisher quasi eingefroren und energiereichen Röntgen- oder Laserstrahlen ausgesetzt werden. Das erzeugt jedoch verfälschende Artefakte. „Das ist, als wenn man eine Mumie untersucht: Man sieht die Folgen des Trocknungsprozesses, aber das gibt uns noch keinen echten Einblick darin, wie der Pharao direkt nach seinem Tode aussah“, sagt Stawsky.
Gipsbildung im Röntgenstrahl
Aus Mangel an eindeutigen Daten ging man bisher davon aus, dass die Kristallisation des Gipses ein einfacher, einschrittiger Prozess sein muss. Stawsky und sein Team haben dies nun überprüft, indem sie einen Weg fanden, die Gipsentstehung ohne verfälschende Nachbehandlungen direkt in situ zu beobachten.
Für ihre Studie platzierten sie eine wässrige Calciumsulfat-Lösung im Synchrotronstrahl der Diamond Light Source im englischen Hartwell. Diese erzeugt einen monochromatischen Röntgenstrahl von 12,4 Kiloelektronenvolt, der von den in der Lösung entstehenden Kristallen auf charakteristische Weise gestreut wird. Aus dem Streuungsmuster lässt sich Form, Größe und Zusammensetzung der Moleküle rekonstruieren.
Kristallisation in vier Schritten
Die Analyse ergab Überraschendes: „Unsere Daten enthüllen, dass die Bildung eines einfachen Salzes wie Gips in einem komplexen vierschrittigen Prozess abläuft“, berichten die Forscher. Im ersten Schritt entstehen winzige, weniger als drei Nanometer kleine Partikel, deren Länge und Häufigkeit allmählich zunimmt.
Aufgrund der Elektronendichte der Partikel gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich dabei bereits um festes Calciumsulfat handelt. Welche der drei Mineralformen dieses Salzes dabei vorliegt, ob Gips, Anhydrit oder Bassanit, sei aber nicht bestimmbar. Die drei Formen unterscheiden sich darin, wie viel Wasser in der Kristallstruktur gebunden ist.
Im zweiten Schritt aggregieren die Partikel zu verdichteten Ansammlungen in der Lösung, wie die Forscher feststellten. Im dritten Schritt verschwinden die Abstände zwischen den Partikeln und sie lagern sich zu kettenähnliche Gebilden zusammen. „Die tatsächliche Kristallisation des Gipses ereignet sich jedoch erst im vierten Schritt“, berichten Stawsky und seine Kollegen. In diesem ordnen sich die Partikel noch einmal um und bilden nun unter Einschluss von Wassermolekülen paketähnliche Konglomerate – die ersten echten Gips-Kristalle.
Mineralform gezielt steuerbar
Gleichzeitig aber lieferten die Experimente noch eine wichtige Erkenntnis: Welche Form des Calciumsulfats sich im Laufe dieses vierschrittigen Prozesses bildet, lässt sich durch den Wassergehalt, die Salinität und den Ethanolgehalt der Lösung beeinflussen. „Dadurch kann die Phasenbildung so gesteuert werden, dass Gips, Bassanit oder Anhydrit entstehen oder aber eine Mischung dieser Phasen“, so die Forscher.
Der Vorteil dabei: Normalerweise wird Gips gebrannt, um ihm so viel Wasser wie möglich zu entziehen und ihn in das Halbhydrat Bassanit zu überführen. Doch diese Mineralform ließe sich auch direkt bei der Kristallisation erzeugen, wie die Wissenschaftler erklären. Dafür müsste man die Kristallisation durch Wasserentzug stoppen, bevor im vierten Schritt die Umlagerung der Grundbausteine zum Gips stattfindet.
Die Aufschlüsselung des vierschrittigen Gipsbildung könnte auch erklären, warum sich auf dem Mars vor allem das Halbhydrat Bassanit als Ablagerungen findet. „Die Oberflächenbedingungen auf dem Mars sind sowohl heute als auch früher durch die sehr geringe Verfügbarkeit von Wasser gekennzeichnet“, erklären Stawsky und seine Kollegen. Dort fand der letzte Schritt der Gipsbildung daher aus Wassermangel wahrscheinlich nicht statt. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms11177)
(European Association of Geochemistry, 04.04.2016 – NPO)