Chemie

Glas gibt unter Druck Geheimnisse preis

Erstmals Oktaederstruktur beobachtet und nachgewiesen

Struktur von Germaniumglas © ANL

Glas ist ein Material der besonderen Art. Jetzt hat es unter Druck eines seiner lang gehüteten Geheimnisse preisgegeben. Amerikanischen Forschern ist es gelungen, erstmals ein Glas aus dichten, rein oktaedrischen Kristallen herzustellen und seine Struktur zu analysieren – etwas, nach dem die Chemiker seit Jahrzehnten suchten.

Mithilfe einer ganzen Palette von Methoden sind Forscher des Argonne National Laboratory (ANL) dem Rätsel des Glases auf den Grund gegangen. „Über die Struktur von Glas unter druck ist bisher nur wenig bekannt“, erklärt Chris Benmore, Materialforscher am ANL. „obwohl es so wichtig ist. Wir nutzen es in unseren Autos und Wohnungen und setzen es für vielfältige industrielle Anwendungen ein, aber wie sich seine atomare Struktur unter Druck verhält, wissen wir nicht.“

Glas gilt als schwierig zu analysieren, da es eine ungeordnete Struktur und keine periodisch angeordneten Kristalle aufweist. Unter Druck verändert es zwar seine Struktur, diese springt jedoch elastisch wieder in seinen Ausgangszustand zurück, sobald der Druck nachlässt – und ist dann auch nicht mehr beobachtbar.

Germaniumglas im Neutronenstrahl

Daher mussten die Forscher spezielle „Tricks“, darunter Röntgen- und Neutronenstrahlen einsetzen, um diesen flüchtigen Zustand einzufangen. Außerdem nutzten sie ein besonderes Glas: “Silizium ist das wichtigste und bekannteste Glas”, erklärt Benmore, „aber wir haben das weichere Germanium-Glas studiert, weil es strukturell dem Siliziumglas analog ist, aber sich schon bei weitaus geringeren Drucken zur Oktaederform umwandelt als dieses. Germanium zeigt zudem im Neutronen- und Röntgendiffraktometer einen stärkeren Kontrast und die Details seiner Struktur erscheinen daher deutlicher.“ Unter normalen Druckverhältnissen hat Germaniumglas die typische tetraedrische Glasstruktur: Vier Sauerstoffatome umschließen ein Germaniumatom und teilen sich ihre Ecken, so dass sie winzige, nur Nanometergroße Käfige bilden.

In einer speziell konstruierten Druckkammer wurden Glasproben einem Druck von bis zu fünf Gigapascal ausgesetzt, das entspricht dem 50.000-fachen des normalen Luftdrucks. Durch die Druckkammer gelenkte Neutronenstrahlen reagierten mit Ablenkung auf Veränderungen der Struktur und enthüllten sie dadurch. Die Wissenschaftler konnten mithilfe dieses Aufbaus erstmals beobachten, wie die Tetraeder des Glases unter dem Druck kollabieren und Sauerstoffatome mit steigender Dichte in die Seiten benachbarter „Käfige“ gepresst wurden.

Fünf Mal Sauerstoff um ein Germanium

Noch genauer konnten die Forscher den Ablauf unter Röntgenstrahlen beobachten. Als eine ein Millimeter große Glasprobe mit dem rund 60.000 bis 100.000 fachen des Luftdruck komprimiert wurde, entdeckten sie einen bisher unbekannte Übergangszustand, bei dem sich fünf Sauerstoffatome um das Germaniumatom formieren, unmittelbar bevor sich die Oktaeder bildeten. Blieb die Frage, ob dieser Übergang abrupt oder aber kontinuierlich abläuft.

Klärung sollte hier zusätzlich eine auf den Beobachtungen und Daten basierende dynamische Simulation der Abläufe bringen. Dabei kalkuliert der Computer zunächst die molekularen Strukturen der Substanz und berechnet daraus mögliche Formprinzipien. „Die Simulationen stimmten mit unseren Daten überein und enthüllten eine Anomalie, die in einem begrenzten Druckbereich die Existenz eines verformten fünffach koordinierten Germaniums erlaubt“, erklärt Benmore. „Dies hat uns den Beweis geliefert, dass Germaniumglas sich kontinuierlich verformt, und widerspricht damit dem gängigen Zwei-Stadien-Modell.“

Auch den oktaedrischen Zustand des Glases konnten die Forscher „live“ bestaunen – dann nämlich, als die das Glas dem noch höheren Druck von bis zu 150.000 Atmosphären aussetzten. Die Winkel der inneren Strukturen waren dabei allerdings nicht 90 und 180 Grad wie bei einem perfekten Oktaeder, sondern nahe 90 und 165 Grad. „Wir werden dieses dichte Glas weiter untersuchen, da es zuvor noch niemals charakterisiert worden ist“, so Benmore abschließend. „Wegen der hohen Drucke ist es eine echte Herausforderung, zumal einige Glasforscher dachten, das Glas würde sofort kristallisieren, wenn es oktaedrisch wird.“

(Argonne National Laboratory (ANL), 14.12.2004 – NPO)

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