Wie lassen sich Bio-Computer auf Basis lebender Gehirnzellen verantwortungsvoll erforschen, einsetzen und weiterentwickeln? Diese Frage diskutieren Forschende in einer aktuellen Veröffentlichung. Denn Fortschritte bei der Entwicklung von synthetischer biologischer Intelligenz ermöglichen es, Gehirnzellen und Computerchips so zu verbinden, dass sie ihre Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren können. Der moralische Status solcher Gebilde ist allerdings bislang ungeklärt.
Das menschliche Gehirn arbeitet effektiver als jeder Supercomputer. Es führt komplexe Berechnungen durch, reagiert auf Umweltreize und speichert Erinnerungen und verbraucht dabei im Vergleich zu Computern nur extrem wenig Energie. Seit langem versuchen Forschende deshalb, eine Art künstliches Gehirn zu bauen, das die Leistung und Energieeffizienz unseres Gehirns nachahmt. Neben Versuchen mit künstlichen neuronalen Netzen besteht ein Ansatz darin, Computerchips mit echten biologischen Hirnzellen zu kombinieren und auf diese Weise eine sogenannte Synthetische Biologische Intelligenz (SBI) zu erschaffen.
In diesem Zusammenhang sorgte 2022 ein Team um Brett Kagan von dem australischen Startup Cortical Labs in Melbourne für Aufsehen: Aus 800.000 lebenden Gehirnzellen, die in einer Schale auf Mikroelektroden wuchsen, erzeugten die Forschenden ein synthetisch-biologisches Gehirn, genannt DishBrain, dem sie beibrachten, das Videospiel Pong zu spielen – also Reize wahrzunehmen, darauf zu reagieren und kontinuierlich zu lernen.
Kann ein Hybrid-Hirn ein Bewusstsein entwickeln?
Doch was bedeuten Entwicklungen wie diese in Hinblick auf moralische Fragen? Ab wann kann man davon ausgehen, dass die künstlich-biologischen Mini-Hirne eine Art Bewusstsein entwickelt haben? Reicht dafür schon die Reaktion auf äußere Reize oder eine gewisse Lernfähigkeit? Oder erfordert dies auch Fähigkeiten wie die Selbsterkenntnis? Und was würde es für den weiteren Einsatz solcher Hirnhybride bedeuten, wenn sie tatsächlich Anfänge bewussten Empfinden zeigen?
Diese Fragen diskutieren nun Kagan und sein Team in einer gemeinsamen Veröffentlichung mit Ethikern und Medizinern. „Die Kombination biologischer neuronaler Systeme mit Siliziumsubstraten zur Erzeugung von intelligenzähnlichem Verhalten ist vielversprechend, aber wir müssen das große Ganze im Auge behalten, um einen nachhaltigen Fortschritt zu gewährleisten“, sagt Kagan. „Unsere Arbeit zielt darauf ab, einen robusten Rahmen für die Strukturierung ethischer Überlegungen zu schaffen, um sicherzustellen, dass die SBI-Technologie sowohl erforscht als auch verantwortungsvoll angewendet werden kann.“
Intelligent ohne moralische Implikationen?
Der Ethiker Co-Autor Julian Savulescu gibt zu bedenken, dass bis heute nicht exakt definiert ist, was überhaupt ein Bewusstsein ist. „Im Moment gibt es noch viele Möglichkeiten, Bewusstsein oder Intelligenz zu beschreiben, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen darauf haben, wie wir über biologisch basierte intelligente Systeme denken.“ Auch in der Diskussion um Fortschritte von KI-Systemen wie GPT-4 und Co gibt es dazu sehr unterschiedliche Ansichten.
Der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) argumentierte bezüglich des moralischen Status von Tieren, dass die Frage nicht laute „Können sie denken?“ oder „Können sie sprechen?“, sondern „Können sie leiden?“ In Anlehnung an diese Sichtweise schreibt das Autorenteam: „Selbst wenn SBIs eine menschenähnliche Intelligenz entwickeln, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie einen moralischen Status haben.“
Da sich der moralische Status nicht allein an der Intelligenz festmachen lässt, sollte aus Sicht von Kagan und seinem Team ein Ziel der laufenden Forschung sein, herauszufinden, inwieweit SBIs zu bewussten Erfahrungen in der Lage sind.
Gerechtigkeit in der Arzneimittelentwicklung
Doch auch abseits von möglichen Rechten für die Mini-Gehirne sieht das Team viele ethische Chancen, aber auch Herausforderungen hinsichtlich ihrer Anwendung. Beispielsweise können entsprechende Systeme dabei helfen, Tiermodelle zu ersetzen und neurologische Krankheiten wie Epilepsie und Demenz besser zu verstehen.
„Allerdings stammen die aktuell verwendeten Zelllinien überwiegend von Menschen europäischer Abstammung und sind möglicherweise nicht verallgemeinerbar“, geben die Forschenden zu bedenken. Dies werfe Fragen bezüglich der Gerechtigkeit auf. „Bei künftigen Modellen für das Arzneimittelscreening haben wir die Chance, sie durch die Verwendung vielfältigerer Zelllinien hinreichend repräsentativ für die realen Patienten zu machen, und das bedeutet potenziell eine schnellere und bessere Arzneimittelentwicklung.“
Bio-Computing für mehr Energieeffizienz
Aufgrund der potenziell immensen Vorteile des Bio-Computings sehen die Forschenden auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit eine moralische Verpflichtung, Forschungen an SBIs voranzutreiben. „Siliziumbasierte Computer haben einen enormen Energiebedarf: Ein Supercomputer verbraucht Millionen von Watt an Energie. Im Gegensatz dazu verbraucht das menschliche Gehirn nur 20 Watt Energie – biologische Intelligenzen werden eine ähnliche Energieeffizienz aufweisen“, sagt Kagan.
„So wie es aussieht, trägt die IT-Industrie massiv zu den Kohlenstoffemissionen bei. Wenn auch nur eine relativ kleine Anzahl von Verarbeitungsaufgaben mit Bio-Computern erledigt werden könnte, gibt es einen zwingenden ökologischen Grund, diese Alternativen zu erforschen“, so der Forscher weiter.
Dabei sollten ethische Fragen stets mitgedacht werden. „Forschende sollten mit einer breiteren Öffentlichkeit und Interessenvertretern zusammenarbeiten, um einen sinnvollen Dialog über die moralischen Grenzen zu führen und SBI-Anwendungen so zu gestalten, dass die gesellschaftlich und ethisch gewünschten Ergebnisse erzielt werden“, sagt das Team. (Biotechnology Advances, 2023, doi: 10.1016/j.biotechadv.2023.108233)
Quelle: Cortical Labs