Sind Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen? Die Natur der geheimnisvollen Elementarteilchen gibt Physikern Rätsel auf. Ein Experiment tief im Untergrund New Mexicos sollte dies klären helfen. Doch eine jetzt in „Nature“ veröffentlichte Zwischenbilanz nach zwei Jahren hat bisher keine Spur des speziellen Zerfalls entdeckt, der belegen könnte, dass Neutrinos sich gegenseitig auslöschen können.
Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen überhaupt und gleichzeitig die geheimnisvollsten. In jeder Sekunde rasen 100 Billionen dieser winzigen Partikel mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch unseren Körper – ohne dass wir auch nur das Geringste davon spüren. Denn diese Elementarteilchen wechselwirken kaum mit normaler Materie. Sie reagieren zudem weder auf elektrische noch auch magnetische Kräfte in ihrer Umgebung.
Drei Sorten und eine „verbotene“ Masse
Und noch etwas macht sie besonders: Nach bisherigen Beobachtungen gibt es sie in drei Sorten – und diese unterschieden sich nur darin, dass sie eine ganz leicht verschiedenen Masse besitzen. Im Gegensatz zu anderen Teilchen ist jedes Neutrino dabei eine Mischung aus diesen drei verschiedenen Massen. Doch nach dem gängigen Modell der Teilchenphysik dürfte dies nicht sein, denn danach müssten Neutrinos komplett masselos sei.
Stimmt demnach unser Standardmodell nicht? Oder ist noch etwas anderes im Spiel. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Neutrinos eine Doppelnatur haben: Sie sind gleichzeitig ihre eigenen Antiteilchen, können sich also gegenseitig auslöschen. Sollte diese Hypothese zutreffen, so könnten viele bisher offene Fragen über die Entstehung unseres Universums und den Ursprung der Materie beantwortet werden.
Zerfall mit sich auslöschenden Neutrinos
Das Problem dabei: Schon Neutrinos nachzuweisen ist wegen ihrer geringen Interaktion mit Materie schwierig und erfordert große Detektoren. Ihre Majorana-Natur experimentell zu belegen, ist daher ebenfalls komplex. Als vielversprechendste Methode gilt der Nachweis eines sogenannten neutrinolosen doppelten Beta-Zerfalls (0vββ). Dabei gibt ein radioaktives Isotop zur gleichen Zeit zwei Beta-Partikel ab, beispielsweise Elektronen. Dabei entstehen auch zwei Antineutrinos. Wenn nun Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind, müssen sich diese beiden gleichzeitig entstehenden Antineutrinos gegenseitig auslöschen. In einem Detektor würde sich dies darin bemerkbar machen, dass zwar die Elektronen nachgewiesen werden, nicht aber Neutrinos oder Antineutrinos.
Einer der Detektoren, mit dem Physiker nach diesem neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall fahnden, ist das Experiment EXO-200 (Enriched Xenon Observatory im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico. Hautkomponente des Detektors ist ein zylindrischer Tank mit mehr 110 Kilogramm flüssigem Xenon, das zu 80,6 Prozent mit dem Isotop Xenon-136 angereichert ist. Um den Tank sitzen Detektoren, die die winzigen Lichtblitze und die Teilchen auffangen, die der Zerfall verursacht. Das gesamte Experiment liegt 650 Meter unter der Erde, um den Versuchsaufbau vor kosmischen Strahlen abzuschirmen.
Kein Anzeichen für den gesuchten Zerfall
Jetzt hat eine internationale Forschergruppe nach zwei Jahren Laufzeit des EXO-200-Experiments eine erste Zwischenbilanz veröffentlicht – mit wenig ermutigenden Ergebnissen: Während dieser Zeit wurde im Detektor kein statistisch signifikanter Beleg für einen neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall beobachtet, wie die Forscher berichten. Zwar gibt es eine ganz leichte Häufung von Ereignissen in dem Energiebereich, in dem dieser Zerfall zu erwarten wäre. Aber noch kann dies auch einfach Zufall sein, quasi ein statistisches Artefakt.
Dies spricht nach Ansicht der Physiker zudem dafür, dass die Halbwertzeit dieses bisher nur theoretisch postulierten Zerfalls extrem hoch ist. Denn den Berechnungen nach könnte die Halbwertszeit dieses Zerfalls mindestens 10 hoch 25 Jahre betragen – das sind hundert Quadrillionen Jahre und damit gut eine Million Milliarden Mal mehr als das Alter des Universums. Das Ergebnis macht auch ein vor kurzem veröffentlichtes Statement einer anderen Arbeitsgruppe unwahrscheinlich, die einen solchen neutrinolosen Doppelzerfall in Germanium nachgewiesen haben wollten.
„Obwohl die Messung beispiellos genau ist, kann die eigentliche Frage zur Natur des Neutrinos daher immer noch nicht beantwortet werden“, sagt Michael Marino von der TU München und Mitglied der EXO-200-Kollaboration. „Deshalb bleibt diese ungeklärte Frage eine der spannendsten in der Physik“. Die Forscher hoffen nun zukünftige, größere Experimente, die die Majorana-Natur von Neutrinos vielleicht doch noch endgültig bestätigen oder widerlegen könnten. (Nature, 2014; doi:10.1038/nature13432)
(Nature/ TU München, 05.06.2014 – NPO)