Chemiker haben erstmals einen entscheidenden Schritt der Ammoniaksynthese im Haber-Bosch-Verfahren direkt sichtbar gemacht – die Bindung des Stickstoffmoleküls (N2) an den Katalysator. Im Rastertunnelmikroskop beobachteten sie, wie sich die Moleküle anlagerten und wie dies ihre Ausrichtung und Bindung veränderte. Dieser Schritt ist die Voraussetzung für das Aufbrechen der starken Dreifachbindung im Stickstoffmolekül und damit auch für den restlichen Verlauf der Ammoniaksynthese.
Die vor rund 100 Jahren von deutschen Chemikern entwickelte Ammoniaksynthese mit dem Haber-Bosch-Verfahren ist bis heute die Verfahrensgrundlage bei der Produktion eines Großteils der weltweit eingesetzten Düngemittel, aber auch anderer Chemieprodukte. Durch Druck, Hitze und Katalysatoren wird dabei zunächst die stabile Dreifachbindung des Stickstoffmoleküls geknackt, damit der Stickstoff dann mit Wasserstoff zu Ammoniak (NH3) reagieren kann.
Der Energieaufwand für diese mehrschrittige Synthese ist beträchtlich: Das Haber-Bosch-Verfahren ist für rund ein Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 1,4 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Entsprechend groß ist das Interesse an Optimierungen oder Alternativen für diesen Prozess.
Katalysator-Stickstoff-Interaktion unterm Mikroskop
Einen direkten Einblick in einen der entscheidenden Schritte des Haber-Bosch-Verfahrens haben nun Chao Zhang von der University of Pittsburgh und seine Kollegen gewonnen. Sie haben erstmals direkt beobachtet, was bei der Anlagerung des Stickstoffmoleküls an einen der Co-Katalysatoren der Reaktion geschieht. „Bei der Ammoniaksynthese erleichtern Promoter in Form von Alkali-Atomen die Stickstoff-Dissoziation“, erklären sie. „Diese gilt als der limitierende Schritt der Prozesskette.“
Weil die Stickstoffzerlegung im Haber-Bosch-Verfahren aber bei Hitze und unter Druck geschieht, ist eine direkte Beobachtung beispielsweise mit einem Rastertunnelmikroskop (RTM) unmöglich – die Moleküle und Atome bewegen sich zu stark. Zhang und sein Team haben daher einen anderen Ansatz gewählt: Sie beobachteten das Geschehen unter Bedingungen, die zwar keine Stickstoff-Dissoziation erlauben, wohl aber die dorthin führenden Abläufe.
Für ihre Studie platzierten sie einzelne Katalysator-Atome in Form von Kalium auf einer inerten Silberoberfläche und kühlten das Ensemble auf minus 268 Grad ab. Dann leiteten sie Stickstoffgas darüber und beobachteten mit dem Rastertunnelmikroskop die Abläufe im Atommaßstab.
Kalium wird anziehend
Es zeigte sich: Die Kalium-Atome liegen vor Eintreffen des Stickstoffs in einem regelmäßigen Abstand von 0,90 bis 0,99 Nanometern auf der Silberfläche. Messungen mit der Spitze des RTM ergaben, dass dabei eines der Außenelektronen des Kaliums stark zum Silber hinübergezogen wird. „Bei niedriger Bedeckung ist das Kalium daher fast vollständig ionisiert“, schreiben die Chemiker. Das Katalysator-Atom trägt dadurch eine positive Teilladung.
Dies schafft eine wichtige Voraussetzung für die Anlagerung des Stickstoffs: Die Kalium-Atome bieten dem elektronenreichen Stickstoffmolekül einen positiven Gegenpol und ziehen es damit an. Kommt nun N2 hinzu, verändert sich die zuvor helle, regelmäßige Abfolge der Kalium-Atome: Dort, wo sich Stickstoffmoleküle an das Kalium anlagern, treten zunehmend dunkle Flecken auf, wie das Team beobachtete.
Ladungsübertragung schwächt Stickstoffbindung
Nähere Analysen enthüllten, was genau dabei geschieht: Das Stickstoffmolekül verbindet sich so mit dem Atom, dass die drei Atome eine gerade Linie bilden. „Die K-N-N-Achse läuft dabei fast parallel zur Oberfläche und das Stickstoffende zeigt auf das benachbarte Kalium-Atome“, berichten Zhang und sein Team. Sind mehrere Stickstoffmoleküle präsent, verbinden sie sich bevorzugt mit direkt nebeneinander liegenden Kalium-Atomen und richten ihre Enden voneinander weg.
Durch diese Bindung kommt es zu einem Austausch von Teilladungen zwischen Katalysator, Oberfläche und Stickstoff, der die elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen Kalium und Stickstoff verstärkt und gleichzeitig die Dreifachbindung zwischen den N-Atomen schwächt, wie die Chemiker mithilfe einer Modellierung ermittelten. „Die paarweise Interaktion zwischen Kalium und Stickstoff wird demnach durch eine elektrostatische, zweizentrige Coulomb-Anziehung bewirkt“, berichten sie.
Ansatzpunkt für weitere Forschungen
Damit haben die Forschenden erstmals die Abläufe und Wechselwirkungen direkt beobachtet und beprobt, die der Stickstoffspaltung im Haber-Bosch-Verfahren unmittelbar vorausgehen. Dies liefert nicht nur fundamentale Erkenntnisse über diesen wichtigen Schritt, sondern könnte auch wertvolle Hinweise darauf liefern, wo und wie dieser Prozess möglicherweise optimiert werden kann. (Cell Reports Physical Science, 2022; doi: 10.1016/j.xcrp.2022.100865)
Quelle: University of Pittsburgh