Gebannt schaut das Publikum auf die Bühne, wenn der Magier massiv scheinende Ringe wie Kettenglieder ineinander schiebt, wieder trennt, um sie dann erneut zu vereinen. Auch Chemiker beherrschen diesen Zaubertrick: Ein System aus zwei oder mehreren molekularen Ringen, die ineinander greifen, aber nicht über chemische Bindungen verbrückt sind, nennt man Catenan (von lat. catena = Kette). Japanische Forscher um Makoto Fujita von der Universität Tokyo haben jetzt zwei verschiedene zyklische Palladium-Komplexe als „magische Ringe“ eingesetzt.
Das Palladium-Atom kann man sich dabei jeweils als eine Art „Verschluss“ vorstellen, der die zwei Enden eines langen Liganden zum Ring verbrückt. Komplex Nr. 1 ist ein einfacher flacher Ring. In Lösung bilden diese Ringe sofort Zweier-Catenane. Die zweite Variante trägt zusätzlich zwei kurze Seitenketten, die wie gegenüber liegende Stäbe vom Ring abstehen. Diese Ringsorte ist deutlich zurückhaltender, hier dauert es ganze vier bis fünf Stunden, bis sich alle Moleküle mit einem Partner vereinigt haben.
Woher der Unterschied? Des Rätsels Lösung ist der Reaktionsweg: Damit zwei Ringe ineinandergreifen können, muss bei einem der Ringe der Verschluss aufgehen, dann fädelt er sich durch einen anderen Ring hindurch und geht wieder zu. Das Einfädeln ist bei den einfachen Ringen kein Problem und geht rasch. Beim anderen Ringtyp sind die Stäbe beim Fädeln sehr hinderlich – es geht nur langsam. Warum tun sie es dann überhaupt?
Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Bestandteilen beider Ringe ist die Catenanform für die Moleküle energetisch wesentlich günstiger, als als Einzelringe in der Lösung zu dümpeln. Werden beide Ringsorten 1:1 vermischt, finden die Ringe ausschließlich und ohne zu zögern zu gemischten Doppeln zusammen (Kreuzcatenierung). Warum? Bevor die trägen Ringe mit Stäbchen überhaupt anfangen, sich irgendwo einzufädeln, haben sich die wendigen glatten Ringe bereits mehrfach ein- und wieder ausgefädelt. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob sie einen gleich- oder einen andersartigen Partner erwischen.
Aber nur im Fall der ausschließlichen Bildung von Kreuzcatenanen kann das Gesamtsystem rasch in den angestrebten energetisch günstigen Zustand, in dem alle Ringe gepaart sind, gelangen. Auf Dauer bewahrt allerdings nur ein Einfrieren alle Kreuzcatenane: Bei Raumtemperatur entstehen daraus nach und nach auch Paare aus je zwei gleichen Ringen. Nach etwa einer Woche herrscht ein Gleichgewicht zwischen den drei Catenansorten mit einer rein statistischen Verteilung von 2:1:1.
Die Bildung molekularer Überstrukturen in einem Selbstorganisationsprozess kann, wie die beschriebene Kreuzcatenierung zeigt, stark von den Geschwindigkeiten einzelner Reaktionsschritte abhängen – eine vielversprechende, bisher wenig genutzte Methode, um zu gewünschten Strukturen zu gelangen.
(Gesellschaft Deutscher Chemiker, 05.10.2004 – NPO)