Knochen sind extrem stabil und dennoch verformbar. Dank ihrer hierarchischen Struktur wirkt eine äußere Kraft nur zu einem Bruchteil auf ihre kleinsten Baueinheiten: Der ganze Knochen dehnt sich viel mehr als seine einzelnen Fasern, die sich – wie geschmiert von einer dünnen Klebeschicht – gegeneinander verschieben. Das zeigt eine neue, jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlichte Studie.
Knochen müssen ausreichend starr sein, damit sie nicht unter dem eigenen Körpergewicht einknicken. Wie Knetmasse können sie aber auch genug Energie schlucken, um nicht schon wie Keramik bei einem relativ harmlosen Sturz zu splittern. Dass Knochen Eigenschaften von Knetmasse und Keramik vereinigt, verdankt er seinem Aufbau: Er besteht zur Hälfte aus dem dehnbaren, faserigen Protein Kollagen und zur anderen Hälfte aus dem spröden Mineral Apatit.
Druck durch Verformung abgefangen
Doch erst die Struktur der organischen und anorganischen Bestandteile im Nano- und Mikrometerbereich macht ihn stabil und bruchsicher: Die einzelnen Komponenten verformen sich hierarchisch, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam herausgefunden haben. Die weichen organischen Bestandteile schlucken hohen Druck, so dass die kleinsten Bauteile, winzige Apatitplättchen, davon nur noch weniger als ein Sechstel spüren.
Die Mineralplättchen selber sind starr und spröde und würden schon bei relativ kleinen Belastungen brechen. Die weichen Schichten aus Kollagenfasern zwischen ihnen lassen sich dagegen gut verformen. Mineralplättchen und Kollagenfasern bilden zunächst Fibrillen – Fasern, die ihrerseits in einer extrazellulären Matrix lagern. Diese lässt sich wiederum leichter deformieren als die einzelnen Fasern.
Geringe Größe macht stabil
Über die hierarchische Deformation hinaus haben die Wissenschaftler einen zweiten Grund gefunden, warum Knochen so stabil sind: Auch die Apatitkristalle in ihnen halten viel größeren Druck aus als die Eigenschaften des Minerals erwarten lassen. Das liegt an der Größe der Plättchen – sie messen nur wenige Nanometer. Da sich solche kleinen Partikel anders verhalten als Kristalle im Mikrometermaßstab, halten sie zwei bis dreimal höhere Kräfte aus, ehe sie brechen.
„Aufgrund der geringen Größe der Partikel bilden sich nicht so schnell Risse", sagt Himadri Gupta, einer der beteiligten Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Dieser verstärkende Effekt war bislang nur in den Materialwissenschaften bekannt. Die Forscher haben jetzt erstmals an einem Biomaterial bewiesen, dass kleine Partikel widerstandsfähiger sind als große.
Die Prinzipien, nach denen Knochen gebaut sind – hierarchische Deformation, Matrixempfindlichkeit und die hohe Stabilität von Nanopartikeln – können Vorbild für neue Materialien sein. Die neuen Erkenntnisse helfen aber auch zu verstehen, welche molekularen Veränderungen Knochen bei einer Osteoporose brüchig machen.
(MPG, 13.11.2006 – NPO)