Endlich: Physiker haben erstmals den Zerfall des Higgs-Bosons in zwei Bottom-Quarks beobachtet – und damit in zwei fundamentale Bausteine der Materie. Dies bestätigt theoretische Voraussagen zum Verhalten des Higgs-Bosons und erklärt seine Kurzlebigkeit, wie die Forscher berichten. Die Beobachtung dieser Zerfälle und eine präzisere Massenmessung des Higgs-Bosons gelangen im Teilchenbeschleuniger LHC des CERN.
Als die Physiker des CERN im Jahr 2012 das lange postulierte Higgs-Boson entdeckten, war dies eine Sensation. Denn dieses Teilchen und der mit ihm verbundene Mechanismus erklären, warum die Elementarteilchen eine Masse besitzen.
Das Higgs-Boson hat einen „Lieblingszerfall“
Mit dem Nachweis des Higgs-Bosons aber sind längst nicht alle Fragen geklärt. Denn noch muss geklärt werden, ob es wirklich dem Standardmodell entspricht – und auch, ob es vielleicht sogar nur eines von mehreren Higgs-Teilchen ist. „Vor allem die Art, wie das Higgs mit anderen Teilchen interagiert, ist spannend, denn eine Physik jenseits des Standardmodells könnte sich in diesen Wechselwirkungen verraten“, erklärt CERN-Generaldirektorin Fabiola Gianotti.
Eine der Voraussagen zum Higgs-Boson betrifft seine Zerfälle. Zwar sind inzwischen Zerfälle in andere Bosonen und in Leptonen nachgewiesen, doch ausgerechnet die theoretisch häufigste Zerfallsform konnten die Physiker nicht finden. „Dieser favorisierte Zerfall des Higgs in zwei Bottom-Quarks sollte eigentlich in 58 Prozent der Fälle auftreten“, erklären die Physiker der ATLAS-Kollaboration. „Es ist damit ein entscheidendes Teil im Higgs-Puzzle.“
Fahndung im Quark-Gestöber
Der Zerfall des Higgs-Bosons in Bottom-Quarks gilt als einer der Belege dafür, dass es tatsächlich mit Materie wechselwirkt. Gleichzeitig erklärt die Häufigkeit dieses Zerfalls, warum das Higgs so extrem kurzlebig ist. Das Problem dabei: Die Bottom-Quarks entstehen im Teilchenbeschleuniger auch als Zerfallsprodukte vieler anderer Ausgangsteilchen. In dieser Menge die vom Higgs stammenden Quarks zu identifizieren, ist daher extrem schwierig.
Obwohl der LHC in seiner zweiten Laufzeit rund 20.000 Higgs-Bosonen pro Tag erzeugt, konnten die Physiker die Spuren seines Quark-Zerfalls erst nach aufwändigen Analysen aufspüren. „Unsere Berechnungen ergaben, dass es unter jeweils 70.000 Hintergrund-Ereignissen rund 300 Higgs-Zerfälle in Bottom-Quarks geben muss“, berichten die ATLAS-Forscher.
Endlich: ein Buckel in der Kurve
Jetzt haben die Physiker den ersehnten „Buckel“ in den Zerfallskurven entdeckt: „Wir haben eine Abweichung beobachtet, die sehr gut mit unseren Erwartungen übereinstimmt“, so die Physiker. „Wir können damit endlich sagen, dass wir Belege für den Zerfall des Higgs in zwei Bottom-Quarks gesehen haben.“
Die Signifikanz dieser Beobachtungen liegt bisher bei 3,6 Sigma – und damit noch knapp unter der Schwelle von fünf Sigma, ab der Teilchenphysiker offiziell von einer Entdeckung sprechen. Dennoch sind sich die Physiker relativ sicher, den Bottom-Quark-Zerfall des Higgs endlich dingfest gemacht zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das beobachtete Signal von anderen Prozessen vorgetäuscht wird, liegt bei nur 0,018 Prozent.
„Diese Belege für den Zerfall des Higgs-Bosons zu Bottom-Quarks ist ein wichtiger Meilenstein bei der Erforschung der Higgs-Eigenschaften“, sagt Karl Jakobs, Sprecher der ATLAS-Kollaboration. „Studien dieses neuen Zerfalls werden ganz neue Einblicke in das Higgs liefern – und sie könnten Hinweise auf eine neue Physik jenseits unserer gängigen Theorien liefern.“
Und noch eine Zerfalls-Art
Tatsächlich gibt es bereits weitere Fortschritte bei der Erforschung des Higgs: Im CMS-Detektor des LHJC haben die Physiker eine weitere Zerfallsform des Higgs nun mit 59 Sigma bestätigt. Das Higgs-Boson zerfällt dabei in zwei Tau-Leptonen – sie sind die schwersten Verwandten des Elektrons. „Dies ist entscheidend wichtig um zu belegen, dass das Higgs-Boson auch an Leptonen koppeln kann“, sagt CMS-Sprecher Joel Butler.
Den Forschern am ATLAS-Detektor gelang es außerdem, die Masse des Higgs-Bosons weiter zu präzisieren. Sie liegt demnach bei 124,98 +/- 0,28 Gigaelektronenvolt (GeV), wie sie berichten.
(CERN / ATLAS Collaboration, 20.07.2017 – NPO)