Ein Higgs alle acht Sekunden: Hoch über unseren Köpfen produziert die Erdatmosphäre ständig neue Higgs-Bosonen – und das in erstaunlich großem Maß, wie ein deutscher Physiker nun errechnet hat. Denn es sind immerhin 1,7-mal mehr als im gleichen Zeitraum im Teilchenbeschleuniger LHC des CERN erzeugt werden. Die atmosphärischen Higgs-Bosonen sind allerdings zu kurzlebig und verstreut – und zu hoch oben – und direkt eingefangen oder nachgewiesen zu werden.
Das Higgs-Boson ist ein fundamentaler Baustein unseres Universums, denn es zeugt von dem Mechanismus, der Elementarteilchen seine Masse verleiht. Als der Nachweis dieses Bosons am Teilchenbeschleuniger LHC des CERN im Juli 2012 gelang, war der Jubel entsprechend groß. Das massereiche Teilchen entsteht im LHC vereinzelt bei Kollisionen, in denen Protonen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen.
Kosmische Protonen als Higgs-Erzeuger
Doch die Higgs-Bosonen entstehen nicht nur unter diesen künstlichen Bedingungen – auch in der Erdatmosphäre werden permanent Higgs-Teilchen erzeugt. Denn auch dort kollidieren ständig Protonen miteinander. Auslöser dafür ist die energiereiche kosmische Strahlung, die im All durch explosive Ereignisse wie Supernovae, Gammastrahlen-Ausbrüche oder die strahlenden Zentren aktiver Galaxien entsteht.
„Die kosmische Strahlung, die die Erde trifft, besteht vorwiegend aus Protonen – zu 87 Prozent – und aus Helium“, erklärt Josua Unger von der TU Dresden. Diese schnell fliegenden und damit energiereichen Teilchen rasen in die Erdatmosphäre hinein und treffen dort auf die Atome der Luft. Dabei kollidieren immer wieder auch Protonen der kosmischen Strahlung mit Protonen der Luftteilchen. Ist dieser Zusammenprall energiereich genug, kann sich dabei auch ein Higgs-Boson bilden – das ist schon länger bekannt.
Alle acht Sekunden eins
Unger hat nun mit Hilfe eines speziellen Computermodells ermittelt, wie viele Higgs-Bosonen durch solche Kollisionen in der Erdatmosphäre entstehen – und das sind erstaunlich viele: Immerhin alle acht Sekunden wird irgendwo hoch über der Erde ein solches „Gottesteilchen“ gebildet. Nötig sind dafür frontale Protonenkollisionen mit der Energie von rund einem Teraelektronenvolt (TeV), wie der Forscher berichtet.
Damit produziert die kosmische Strahlung über unseren Köpfen mehr Higgs-Bosonen als der Teilchenbeschleuniger LHC. Denn obwohl bei ihm jede einzelne Kollision energiereicher ist, ist die Zahl der Kollisionen geringer. Wie Unger rechnete, entstanden während gut vierjährigen ersten Laufzeit des LHC in der Erdatmosphäre rund 1,7-mal so viele Higgs-Bosonen wie im Teilchenbeschleuniger.
Nachweis fast unmöglich
Allerdings: Die Higgs-Bosonen, die durch die kosmische Strahlung entstehen, lassen sich kaum direkt nachweisen. Denn sie sind extremkurzlebig und werden nur in großer Höhe von etwa 26 Kilometern über den Erdboden gebildet, wie Unger in seiner Arbeit ermittelte. Denn nur dort haben die kosmischen Protonen noch genügend Schwung, um bei der Kollision die massereichen Partikel zu erzeugen.
Zudem sind die atmosphärischen Higgs-Bosonen über den gesamten Globus verteilt – auch das macht ihren Nachweis nicht gerade einfacher. Der LHC produziert die Higgs-Bosonen hingegen an festgelegten Orten – dort, wo die Detektoren stehen, mit denen die Physiker diesen Vorgang genau untersuchen können.
(Technische Universität Dresden, 16.07.2015 – NPO)