Es reicht von England bis Polen und von den Niederlanden bis in die norddeutsche Tiefebene: Das zentraleuropäische Becken ist vor 300 Millionen Jahren entstanden und gehört zu den größten kontinentalen Sedimentbecken-Komplexen der Erde. Doch welche Prozesse trugen damals zu seiner Bildung bei? Wie wirkte sich die Dehnung der Erdkruste auf das Klima und die Sedimentschichten aus? Und: Wie bewegen und bewegten sich Salze, Flüssigkeiten und Gase in dem Becken? Mit diesen und vielen anderen offenen Fragen haben sich jetzt Aachener Forscher innerhalb eines DFG-Projektes beschäftigt – zum Teil mit überraschenden Ergebnissen.
„Unser Anliegen war und ist es, Grundlagenwissen über das zentraleuropäische Becken zu gewinnen, um diese Erkenntnisse dann in einem zweiten Schritt auf andere, noch nicht so gut erschlossene Sedimentbecken übertragen zu können“, erläutert Professor Ralf Littke von der RWTH Aachen.
Wie ein Sechser im Lotto…
Ausgangspunkt für die komplexen Untersuchungen der letzten sechs Jahre war ein umfangreicher geologischer und geophysikalischer Datensatz, den die Erdöl- und Erdgasindustrie für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stellte. „Diese Informationen waren für uns wie ein Sechser im Lotto“, so der Geologie-Professor.
Denn die Kosten für eine einzige Tiefbohrung liegen oft zwischen fünf und zehn Millionen Euro, teilweise darüber. Die Industriedaten lieferten aber nun umfassende geophysikalische und geochemische Informationen aus etwa hundert solcher Tiefbohrungen. Zusätzlich wurden zahlreiche Gesteinsproben aus der Tiefe untersucht. Dadurch konnten die Wissenschaftler aus Aachen gemeinsam mit Kollegen aus anderen deutschen Universitäten und dem angrenzenden Ausland ein äußerst umfassendes Datenmaterial auswerten.
In 10.000 Jahren mit dem Ozeandampfer von Hamburg nach Berlin?
Dabei haben sie beispielsweise neue Erkenntnisse über die zukünftige Entwicklung des Küstenverlaufs gewonnen. „Sedimentbecken sind teilweise noch aktive Senkungsräume“, erläutert Littke. „Weitere Absenkungen bedeuten jedoch besondere Herausforderungen an den Küstenschutz.“ So untersuchten die Wissenschaftler, wie sich verschiedene extern und intern gesteuerte Prozesse auf die Sedimentschichten auswirkten.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen wagten die Geologen verschiedene Langzeit-Prognosen. Eine davon ist, dass auf heutigem bundesdeutschen Gebiet bei Hamburg ein neuer Meeresarm in südöstlicher Richtung entsteht: „In etwa 5.000 bis 10.000 Jahren können unsere Nachfahren vielleicht mit dem Ozeandampfer von Hamburg nach Berlin fahren.“
Salzstöcke als Endlager
Wichtige Ergebnisse legten die Geologen aber auch über die Salzstöcke im zentraleuropäischen Becken vor. Das Steinsalz bildet dort häufig eine natürliche Abdeckschicht über Erdgas- und Erdöllagerstätten. Aufgrund der geringen Durchlässigkeit gelten die Salzstöcke heute als mögliche Zwischenlager für hochgiftige und radioaktive Stoffe. Aber sind sie wirklich sicher?
„Salze haben normalerweise eine viel niedrigere Durchlässigkeit als andere Sedimentgesteine“, erläutert Littke. „Unsere Untersuchungen konnten jedoch zeigen, dass selbst mächtige Salzschichten unter hohem Flüssigkeitsdruck durchlässig werden.“
Zentraleuropäisches Becken als Rohstoff-Schatzkammer
Bestätigen konnten die Aachener Wissenschaftler zudem, dass das zentraleuropäische Becken eine bis zu zehn Kilometer tiefe Schatzkammer ist. Die Sedimentschichten sind reich an wertvollen Gesteinen, Flüssigkeiten und Gasen. Neben Kalk-, Sand- und Tonstein lagern dort Kohle, Erdöl und Erdgas sowie Salze und vieles mehr. Der Rohstoffreichtum des Beckens erklärt sich durch seine Zusammensetzung: „Sowohl Kalk- als auch Sandstein sind poröse Gesteinsarten, in deren Poren Grundwasser, Öl und Erdgas aufgenommen und gespeichert werden können“, erklärt Littke.
So bezieht Deutschland etwa 40 Prozent seines Erdgases in Form von Methan aus dem zentraleuropäischen Becken. 20 Prozent werden im norddeutschen Raum gefördert. Zwanzig Prozent kommen aus den Niederlanden, die bei Groningen eines der größten europäischen Erdgasfelder besitzen. Im Rahmen des Forschungsprojekts kartierten die Geologen außerdem das Becken hinsichtlich seiner Methanfelder bzw. Stickstoffkonzentrationen. „Um Erdgas thermisch nutzen zu können, muss der Methananteil über 30 Prozent liegen“, berichtet der RWTH-Forscher.
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Gute Deckschichten für CO2-Speicher unter Tage
Ein weiteres Augenmerk legten die Wissenschaftler auf die Kohlenstoffeinlagerungen im Becken. „Mittelfristig werden wir unseren Energiebedarf auch weiterhin mit fossilen Brennstoffen decken müssen“, so die Einschätzung von Littke. Doch der Klimaschutz – und die damit verbundene Kohlendioxid-Reduzierung – erfordern kurzfristige Lösungen.
„Wirtschaft und Politik denken darüber nach, Kohlendioxid (CO2) möglicherweise unterirdisch zu speichern, etwa in ehemaligen Erdgasspeichern“, berichtet Littke. „Norddeutschland hat für CO2-Speicher unter Tage gute Deckschichten, um das Gas im Untergrund zu halten.“
Allerdings fordert der Geologe eine verantwortungsbewusste Einleitung: „Es müssen im Vorfeld genaue Untersuchungen der Lagerstätten stattfinden, auch weil das Becken sich dynamisch verändert.“ Das „Geotechnologien“-Programm des Bundesforschungsministeriums wird in den nächsten Jahren Basisdaten über die Eignung verschiedener Speicher in Norddeutschland liefern.
(idw – Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 07.10.2008 – DLO)