Wichtiger Meilenstein: Der Bau des ITER-Fusionsreaktors ist inzwischen zu fast drei Vierteln fertig. Jetzt bekommt er sein „Herz“ – den zentralen Solenoid-Magneten. Das erste Modul des tausend Tonnen schweren und 18 Meter langen supraleitenden Magneten wird zurzeit von den USA nach Frankreich gebracht. Das vom Solenoid erzeugte Magnetfeld soll später das Plasma des Reaktors aufheizen und zum Kreisen bringen. Bis es aber soweit ist, werden wohl noch vier Jahre vergehen.
ITER ist eines der ehrgeizigsten und größten Projekte, die je unternommen wurden: Gut eine Million Bauteile sowie Knowhow und Geld aus 35 Ländern sind nötig, um den ersten Fusionsreaktor zu bauen, der in großem Maßstab mehr Energie erzeugt, als man zum Aufheizen seines Plasmas benötigt. Der nach dem Tokamak-Prinzip arbeitende ITER soll zudem erstmals die Kernfusion über längere Zeit aufrechterhalten und die Vorstufe zu einem Fusionskraftwerk bilden.
Nach jahrelangen Vorarbeiten hat im Juli 2020 offiziell der Bau von ITER begonnen. Trotz Corona-Pandemie ist es gelungen, sowohl den Transport der Bauteile aus drei Kontinenten als auch ihren Zusammenbau weiterzuführen, wie die Kollaboration mitteilt. Demnach ist der Fusionsreaktor inzwischen zu fast 75 Prozent fertig.
Ein riesiger Magnet als „schlagendes Herz“
Was aber noch fehlt, ist das Herzstück der Anlage – der zentrale Solenoid. Dieser supraleitende Magnet steht als Achse im Zentrum der doughnutförmigen Anlage und erzeugt lange, regelmäßige Magnetpulse, die das heiße, geladenen Plasma im Reaktor-Torus in eine ringförmige Strömung bringen und einzuschließen. Gleichzeitig heizt der „Herzschlag“ dieses Magneten das Plasma auf bis zu 150 Millionen Grad auf und verleiht ihm eine Energie, die rund 15 Millionen Ampere entspricht – mehr als jemals zuvor in einem Fusionsreaktor dieses Typs erzeugt wurde.
Die sechs Module des zentralen Solenoid-Magneten erzeugen dafür eine Magnetfeldstärke von 13 Tesla – das ist 280.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld und stark genug, um einen Flugzeugträger zwei Meter in die Höhe zu heben. Zusammengebaut ist der gesamte Magnet 18 Meter hoch, gut 4,50 Meter dick und wiegt mehr als tausend Tonnen. Wie für einen Fusionsreaktor nach Tokamak-Prinzip typisch, werden noch zwei weitere Magnet-Ensembles benötigt. Die 18 toroidalen und sechs poloidalen Magnetspulen sitzen außen am Plasmaring und kontrollieren von dort aus den sicheren Einschluss des Plasmas.
Fünf Kilometer Kabel und zwei Wochen im Ofen
Das erste Modul des zentralen Solenoid-Magneten ist nun bereit, nach Frankreich transportiert und in das Herz von ITER eingebaut zu werden. Es wird zurzeit in Houston auf ein Frachtschiff verladen und soll im August in Frankreich ankommen. „Die Anlieferung des ersten zentralen Solenoiden für ITER ist ein echter Meilenstein für die Entwicklung der Fusionsenergie“, kommentiert Michael Mauel of Columbia University. Die restlichen fünf Module des Solenoiden sind bereits in Arbeit, das zweite Modul soll im August verschifft werden.
Gebaut wird der Großmagnet von der US-Firma General Atomics, die eigens dafür eine Produktionsanlage in der Nähe des kalifornischen San Diego errichtet hat. Für jedes Modul des zentralen Solenoiden werden mehr als fünf Kilometer stahlummantelter Niob-Zinn-Kabel benötigt, die auf bestimmte Weise aufgewickelt werden. Anschließend wird die gesamte Spule über gut 14 Tage in einem Konvektionsofen bis auf 650 Grad erhitzt.
Erst nach dieser Hitzebehandlung werden die Spulenwindungen isoliert und die gesamte Spule zusätzlich mit Epoxidharz ausgegossen und gehärtet. Das gesamte Ensemble ist darauf ausgelegt, starken Kräften, einem fast kompletten Vakuum und Temperaturen von minus 270 Grad standzuhalten – diese durch flüssiges Helium erreichte Kälte ist nötig, um die Magneten supraleitend zu machen.
Erstes Plasma voraussichtlich 2025
„Das ITER-Projekt ist die komplexeste wissenschaftliche Kollaboration in der Geschichte“, sagt Bernard Bigot, Generaldirektor der ITER-Organisation. „Bauteile, die es so noch niemals vorher gab, werden dafür auf drei Kontinenten hergestellt – jede dieser Komponenten ist das Ergebnis erstklassiger Ingenieursarbeit.“ Erst durch diese internationale Zusammenarbeit sei ein solches Projekt überhaupt möglich.
Der ITER-Versuchsreaktor wird zwar noch keinen Strom erzeugen und ist daher kein Fusionskraftwerk. Er soll aber dazu dienen, die für ein solches Kraftwerk nötigen Technologien, Materialien und physikalischen Feinheiten auszutesten. Kostengünstig ist das Großprojekt allerdings nicht: Bis zum Betriebsbeginn – voraussichtlich im Jahr 2025 – könnte ITER bereits 20 Milliarden Euro verschlungen haben.
Quelle: ITER