Züricher Wissenschaftler haben mit Laserstrahlen eine Honigwabenstruktur ähnlich dem Kristallgitter von Graphen erzeugt. Indem sie in diesem optischen Gitter ultrakalte Atome einfangen, können sie die elektronischen Eigenschaften des zukunftsträchtigen Materials simulieren. Dank solcher Experimente könnten elektronische Eigenschaften von zukünftigen Materialien bestimmt werden, bevor es diese gibt, berichten die Forscher in „Nature“.
Den Physikern Andre Geim und Konstantin Novoselov von der Universität Manchester gelang es 2004 erstmals Graphen herzustellen und nachzuweisen. Dieses besteht aus einer Schicht von Kohlenstoffatomen, die eine zweidimensionale honigwabenförmige Struktur bilden. Diese Anordnung verleiht Graphen eine außerordentlich gute Strom- und Wärmeleitfähigkeit und macht es vor allem für zukünftige elektronische Bauelemente interessant. Dass die Entdecker von Graphen dafür bereits 2010 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurden, zeigt die Bedeutung des Materials.
Anreiz für die Forschung
Ausschlaggebend für die besonderen Eigenschaften von Graphen ist unter anderem das Verhalten der Elektronen im sogenannten Dirac-Punkt. Im Dirac-Punkt kreuzen sich Valenz- und Leitungsband von Graphen. Die Elektronen verhalten sich in diesem Kreuzungspunkt wie masselose Teilchen, die sich mit einer effektiven Lichtgeschwindigkeit im Gitter bewegen.
Kaum war das „Wundermaterial“ Graphen entdeckt, beschäftigten sich Quantenwissenschaftler bereits mit der Frage, was passieren würde, wenn sich die Gitterstruktur von Graphen verändern ließe. Da dies mit natürlichem Graphen kaum möglich ist, versuchten Forscher Graphen im Experiment zu simulieren. Erstmals ist dies nun zwei Forschungsgruppen unabhängig voneinander gelungen, die über ihre Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin „Nature“ berichtet. Eines der Teams leitet Tilman Esslinger, Professor am Institut für Quantenelektronik an der ETH Zürich und am Kompetenzzentrum Quantum Science and Technology.
Neue Materialien mit Licht und Atomen modellieren
Den Schweizer Wissenschaftlern gelang das Experiment, indem sie ultrakalte Kalium-Atome in eine einzigartige Gitterstruktur aus Laserlicht luden: Mit einer speziellen Anordnung von mehreren Laserstrahlen, die sie senkrecht orientierten und präzise zueinander positionierten, kreierten die Forscher flexible zweidimensionale Lichtfeld-Geometrien, bis hin zur Honigwabenstruktur von Graphen.
Im Experiment kühlten sie hierfür einige hunderttausend Kaliumatome in einer Vakuumapparatur auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von -273 Grad Celsius herunter und brachten diese fast zum Stillstand. Danach legen die Forscher das optische Gitter über die Wolke der Atome. Das Gitter hochpräzise zu regulieren war eine der großen Herausforderungen des Experiments.
Magnetfeld beschleunigt Atome
„Solche Strukturen mit Laserlicht zu erschaffen, gleicht in etwa der Herausforderung, ein schönes gleichförmiges Muster in einem See zu erzeugen, indem man mehrere Kieselsteine gleichzeitig an die richtige Stelle ins Wasser wirft“, sagt Esslinger.
Im optischen Gitter gefangen, verhalten sich die Kaliumatome wie Elektronen in der Kristallstruktur von Graphen. Indem die Wissenschaftler die Atome mit Hilfe eines magnetischen Feldes beschleunigten, konnten sie die Dirac-Punkte des Lichtkristalls identifizieren. In diesem Punkt sind die Atome masselos – wie die Elektronen in Graphen – und können vom Valenzband ins Leitungsband wechseln, da dort die Bandlücke verschwindet.
Genau diesen Übergang in das höhere Band konnten die Forscher nun beobachten, indem sie die Bewegung der Atome durch Flugzeitmessungen bestimmten. Hierfür schalteten sie das Lasergitter ab, so dass der Lichtkristall verschwindet und die Atome frei im Vakuum fliegen. Über die Abbildung des Schattenwurfs der atomaren Verteilung rekonstruierten die Wissenschaftler die Flugbahnen.
Forscher spielen mit Dirac-Punkten
In dieser Versuchsanordnung konnten sie nun mit Dirac-Punkten spielen. Die Forscher verschoben diese soweit, bis sie plötzlich verschwanden. Auch konnten sie beobachten, wie eine leichte Veränderung der ausgeklügelten Symmetrie des Gitters dazu führte, dass die Atome am Dirac Punkt langsam ihre Masse zurück erhielten.
Für die Wissenschaftler eröffnet das Experiment völlig neue Möglichkeiten auf der Suche nach nützlichen Materialien. „Mit dieser Methode könnte man in Zukunft elektronische Eigenschaften von Materialien simulieren, bevor diese überhaupt erforscht oder produziert sind“, hofft Esslinger. Eine noch zu klärende Frage sei, was passiere, wenn die Atome stark untereinander wechselwirken – eine Situation die in Graphen bislang nicht erreicht werden konnte. (Nature, 2012; doi:10.1038/nature10871)
(Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), 16.03.2012 – DLO)