Warum tönt eine Posaune anders als eine Blockflöte? Und was genau macht den Unterschied zwischen einer guten und einer mittelmäßigen Geige aus? Diese Fragen kann jetzt ein interdisziplinäres Forscherteam der Musikhochschule Winterthur Zürich und der Hochschule für Technik und Informatik in Burgdorf mit ihrer neuen Software „Prisma“ beantworten: Sie stellt die verschiedenen Eigenschaften von Klängen bildlich dar. Das neuartige Klangfarben-Stimmgerät ist aus Sicht der Wissenschaftler für den Musikunterricht und den Instrumentenbau von großem Nutzen.
“Es ist schwierig, Höreindrücke präzis mit Worten zu beschreiben“, erklärt der Mathematiker Franz Bachmann, Professor an der HTI Burgdorf und Amateur-Blockflötist. Begriffe wie „hell“, „dumpf“, „schrill“ oder „rauschig“ werden dem Gehörten meistens kaum gerecht. „Unser Ziel war es, die diffuse Beschreibung durch Worte zu präzisieren, indem wir Töne auf wissenschaftliche Weise mit Zahlen charakterisieren“, ergänzt Bachmann.
Selbständige Tonanalyse
Um die verschiedenen Töne zu beschreiben, haben die Forschenden ein „Klangfarben-Stimmgerät“ entwickelt. Als Hardware benötigt es nur wenige handelsübliche Komponenten: ein Mikrophon mit Vorverstärker, eine Soundkarte und ein Laptop reichen bereits aus. Herzstück ist die Software «Prisma“, die in diesen Wochen fertig geschrieben wird. Wer die nötige Ausrüstung besitzt, so die Idee, soll zukünftig auf eigene Faust in der Werkstatt, im Unterrichtsraum oder zuhause Klänge analysieren können.
„Uns ging es vor allem um die Anwendung“, erklärt der Musiker und Elektroingenieur Hans-Christof Maier von der Musikhochschule Winterthur Zürich. Die Forschenden standen deshalb in engem Kontakt mit verschiedenen Instrumentenbauern. Mit Hilfe des Programms können diese nun herausfinden, welche Merkmale für eine bestimmte Klangfarbe entscheidend sind und mit welchen Materialien oder mit welcher Geometrie sie ihre Instrumente verbessern können. „Häufig sind es ja nur kleine Finessen, die den Unterschied ausmachen“, sagt Maier.
Für die Anwender dürften zum Beispiel die so genannten Instrument-Scans von Interesse sein. Dabei werden sämtliche Töne nacheinander erfasst und auf dem Bildschirm dargestellt. Der Instrumentenbauer sieht dann anhand der Graphik auf einen Blick, in welchen Tonbereichen das Instrument ausgeglichen tönt und in welchen Lagen Abweichungen vorkommen. „Mit solchen Scans können auch Instrumente miteinander verglichen werden“, erklärt Bachmann. Auch Lehrer und Musiker haben bereits an der Software Interesse bekundet. Durch die Klanganalyse lässt sich nämlich im Musikunterricht einfach demonstrieren, wie sich eine bestimmte Spielweise auf die Klangfarbe auswirkt.
Echtzeit als Herausforderung
Besonders stolz sind die Forscher, dass die Töne in Echtzeit analysiert werden können. „Der Anwender sieht auf dem Bildschirm sofort, welche Eigenschaften der gespielte Ton hat“, erklärt der Informatiker Michael Bernhard von der HTI Burgdorf. Das Eingangssignal wird dazu in kurze Zeitabschnitte von 17 Millisekunden unterteilt. „Das gewählte Zeitintervall ist ein Kompromiss“, erläutert Bernhard. „Auf der einen Seite muss es genügend kurz sein, damit eine ruckfreie Darstellung auf dem Bildschirm möglich wird. Gleichzeitig darf das Intervall nicht zu kurz sein, denn sonst können tiefe Frequenzen nicht mehr richtig ausgewertet werden.“
Dann wird das Eingangssignal in einem ersten Schritt mit Hilfe einer verfeinerten Fourier-Transformation in einzelne Frequenzen aufgeteilt. Die Eigenschaften der verschiedenen Teilschwingungen des Tons werden anschließend mit Farben visualisiert. Zum Beispiel erscheint eine Teilschwingung auf dem Bildschirm rot, wenn sie gleichzeitig dominant und harmonisch ist. Als Resultat der Klanganalyse liegt somit ein Farbmuster vor, welches die Eigenschaften des Tons auf einen Blick zeigt. Damit wird beispielsweise sofort sichtbar, dass bei einer Altblockflöte die zweite Teilschwingung markant vom theoretischen Wert abweicht, während die dritte Teilschwingung perfekt harmonisch ist.
Berechnungsalgorithmen optimiert
Bei der Entwicklung des Klangfarben-Stimmgeräts galt es, verschiedene Hürden zu überwinden. „Wir mussten insbesondere die Berechnungsalgorithmen optimieren“, erläutert Bernhard. Ein heikler Punkt ist auch die Bestimmung der Tonhöhe. Sie wird vom Computer bei jedem Zeitintervall neu ermittelt. Dies erfordert eine schnelle und vor allem auch zuverlässige Berechnung, werden doch basierend auf der Grundfrequenz die Eigenschaften der Obertöne berechnet. Auch die Visualisierung auf dem Bildschirm hängt wesentlich von dieser Größe ab.
Um die Klangfarbe möglichst umfassend zu beschreiben, haben die Forscher Dutzende von „Features» definiert, die sie aus den Messwerten ableiten. Zu diesen Features gehören etwa die „Harmonizität» eines Tons (ein Begriff, den die Prisma-Forscher erfunden haben), die Verteilung der Klangenergie auf die verschiedenen Obertöne oder Kenngrößen des Rauschanteils im Klang. „Welche Features für den Instrumentenbauer wirklich entscheidend sind, hängt von seinen Bedürfnissen ab“, erklärt Bachmann.
„Wir haben ein universelles Messsystem entwickelt, doch die Interpretation der Ergebnisse müssen die Anwender selbst vornehmen.“ Sicher ist, dass es für den Instrumentenbauer nicht einfach darum gehen kann, mit Hilfe von „Prisma“ einen möglichst vollkommen reinen Klang anzustreben. «Mitunter», so hält Maier fest, „sind es ja gerade die Abweichungen vom Ideal, die den Charme eines Instruments ausmachen.“
(Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, 08.12.2005 – DLO)