Physik

Klang von Stradivari-Geigen doch nicht einzigartig

Violinisten können historische und neue Instrumente nicht am Klang unterscheiden

Geige spielendes Kind © SXC

Der Klang der Geigen von Stradivari und Guarneri ist offenbar weniger unverwechselbar und einzigartig als angenommen. In einem Blindtest konnten erfahrene Violinisten die vor rund 300 Jahren von den beiden italienischen Geigenbaumeistern geschaffenen Instrumente nicht von neuen Geigen unterscheiden. Gefragt, welches der gespielten Instrumente sie wählen würden, entschied sich die Mehrheit der 21 Musiker ohne es zu wissen für eine der neuen Geigen. Eine der beiden getesteten Stradivaris habe in diesem Präferenztest sogar als mit Abstand schlechteste abgeschnitten, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

„Diese Ergebnisse stehen in einem erstaunlichen Widerspruch zu herkömmlichen Annahmen“, schreiben Claudia Fritz von der Université Paris und ihre Kollegen. Unter Violinisten seien die um 1700 geschaffenen Instrumente der beiden Geigenbauer Antonio Stradivari und Guiseppe Guarnere sehr begehrt. Ihr Klang gelte dem neuer Geigen als weit überlegen. „Viele mechanische und akustische Faktoren wurden schon vorgeschlagen, um diese Überlegenheit der alten Geigen zu erklären, aber systematisch getestet wurden sie bisher nicht“, sagen die Forscher.

Zwei Tests, 21 Violinisten und sechs Geigen

Für ihre Studie hatten die Forscher 21 hochrangige Violinisten gebeten, sechs hochklassige Geigen – zwei Stradivari, eine Guarneri und drei neue – in zwei Experimenten zu spielen und ihren Klang zu testen und zu bewerten. Während der Tests wussten weder die Musiker, deren Sicht durch eine dunkle Schweißerbrille behindert war, noch die auswertenden Beobachter, welche Geige gerade gespielt wurde.

Im ersten Versuch erhielt jeder Musiker nacheinander zehn Paare von Geigen. Die Paare bestanden – ohne Wissen des Getesteten – immer aus einer neuen und einer historischen Geige. Bei jedem Paar durfte die Testperson jedes Instrument jeweils eine Minute lang spielen. Anschließend sollte sie angeben, welche der beiden sie vorzog.

Im zweiten Versuch waren alle sechs Testgeigen aufgereiht und konnten von der jeweiligen Testperson eine Stunde lang beliebig ausprobiert und gegeneinander getestet werden. Am Ende wurden die Musiker gefragt, welche sie am liebsten mit nach Hause nehmen würden und wie sie die Geigen nach vier Kriterien – Spielbarkeit, Spannbreite der Tonfärbungen, Ausstrahlung und Ansprechverhalten – einstuften.

Neue Geige am beliebtesten

„In beiden Versuchsdurchgängen erwies sich eine der beiden Stradivari-Geigen als das am wenigsten beliebte Instrument, im zweiten Test wurde eine der drei neuen Geigen am häufigsten als Favorit gewählt“, berichten die Forscher. Offenbar habe bei der von den Musikern wahrgenommenen klanglichen Qualität Herkunft und Alter der Instrumenten kaum eine Rolle gespielt.

„Die meisten Violinisten konnten blind nicht unterscheiden, ob das Instrument, das sie gerade spielten, historisch oder neu war“, berichten Fritz und ihre Kollegen. Offenbar trage erst das Wissen um die historische Bedeutung und den millionenschweren Wert der alten Stradivari- und Guarneri-Geigen erheblich zu deren gutem Image auch unter Geigern bei. Teste man die Vorlieben aber blind, ohne dass die Musiker wüssten, was sie gerade spielen, relativiere sich das Bild. (PNAS, 2012, doi: 10.1073/pnas.1114999109)

(PNAS, 03.01.2012 – NPO)

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