Geowissen

Küstenschutz: Aus losem Sand wird Gestein

Wie Schwachstrom künftig Strände, Dünen und Seewälle vor der Erosion schützen könnte

Küstenschutz durch Sandverfestigung
Durch Einleitung einer schwachen Spannung kann der lose Sand von Meeresküsten zu stabilem Kalksandstein verfestigt werden. © Northwestern University

Verblüffend simpel: Statt teurer Betonbauten und Aufschüttungen könnte künftig ein wenig Schwachstrom unsere Küsten vor der Erosion bewahren. Denn wie ein Experiment enthüllt, reicht schon Schwachstrom von vier Volt aus, um aus losem Sand und Meerwasser ein festes Gestein zu bilden. Vom Meeresspiegelanstieg gefährdete Strände, Klippen und Dünen könnten so mit wenig Aufwand befestigt werden – auf dauerhafte und nachhaltige Weise, wie die Forschenden berichten. Vorbild dafür ist die Natur selbst.

Ob Ostsee, Nordsee oder tropische Strände: Der steigende Meeresspiegel und zunehmende Stürme nagen an Meeresküsten weltweit. Durch Erosion und Überflutungen dringt das Meer immer weiter ins Land vor, selbst unersetzliches Weltkulturerbe ist vielerorts in Gefahr. Um die Küsten zu schützen, werden bisher vor allem Deiche, Betonbauten und Seewälle eingesetzt. Diese Maßnahmen sind jedoch aufwendig, teuer und halten oft nur begrenzte Zeit.

„Mit der Zeit erodiert der Sand unter den Seewällen und bringt sie zum Einsturz“, erklärt Seniorautor Alessandro Rotta Loria von der Northwestern University. Der Untergrund unter Stein- oder Betonwellenbrechern verflüssigt sich oft und gibt im Laufe der Zeit nach, wodurch die Bauten absinken und nutzlos werden. Der Versuch, Strände durch die Injektion von Zement und anderen Bindemitteln zu verfestigen, ist wiederum aus Umweltgründen umstritten und kostet wegen des nötigen Hochdrucks viel Energie.

Sand und Kalksstein
Mikroskopaufnahme von Sandkörnern (grau) mit aus dem Meerwasser ausgefälltem Calciumcarbonat (türkis). © Northwestern University

Korallen und Muscheln als Vorbild

Aber wie lassen sich die Küsten dann schützen? Eine verblüffend einfache Lösung könnten nun Loria und seine Kollegen gefunden haben – inspiriert von der von der Natur selbst: „Meeresorganismen nutzen ihre Stoffwechselenergie, um ihre Skelette und Schalen durch die Mineralabscheidung aus dem Meerwasser zu bilden“, erklärt das Team. Korallen reichern so beispielsweise das im Ozean gelöste Aragonit an, fällen es unter Energieeinsatz aus und konstruieren daraus ihre gewaltigen, beständigen Riffe.

Auf ähnliche Weise funktioniert auch die von den Forschern entwickelte Strandbefestigung: „Wir nutzen elektrische Energie, um ähnlich wie die Meerestiere die gelösten Minerale in den Poren des Untergrunds auszufällen“, erklären sie. Als Folge bildet sich zwischen den Sandkörnern eine feste, verbindende Masse, die aus Calciumcarbonat (CaCO3) und Magnesiumhydroxid (Mg(OH)2) besteht. Rohmaterial dafür sind die im Meerwasser gelösten Calcium- und Magnesium-Ionen und gelöstes CO2.

Vier Volt, Sand und Meerwasser reichen

Wie gut das in der Praxis funktioniert, haben Loria und sein Team im Labor getestet. Dabei füllten sie Sand und Meerwasser in einen Behälter mit zwei Elektroden. Über diese leiteten sie eine schwache Spannung von zwei bis vier Volt in den wassergesättigten Sand ein. Als Folge entstehen aus dem Wasser negative OH-Ionen, sammeln sich an der Kathode an und erhöhen den lokalen pH-Wert. „Unter diesen Bedingungen reagieren die Hydroxid-Ionen mit dem gelösten positiv geladenen Magnesium und Calcium-Ionen sowie den Bicarbonat-Anionen (HCO3)“, erklären die Forscher.

Das Ergebnis sind die beiden festen Minerale, die nun die Poren des zuvor losen Sands ausfüllen und wie in Bindemittel wirken. „Nach der Behandlung ähnelt der Sand einem festen Gestein“, sagt Rotta Loria. „Er ist fest und massiv statt körnig und lose. Die resultierenden Mineralien sind zudem weit stärker als Beton.“ Im Experiment erwiesen sich vier Volt und eine möglichst lange Dauer der Stromzufuhr am wirksamsten – nach einem Monat war der Sand in einem Umkreis des 20-fachen Elektrodendurchmessers gehärtet.

Verfestigter Sand
So sieht der verfestigte Sand hinterher aus. © Northwestern University

Vielseitig einsetzbar – und reversibel

„Wir haben hiermit beweisen, dass es möglich ist, marine Böden zu verfestigen, indem wir die natürlich im Meerwasser gelösten Minerale mittels Schwachstrom in mineralische Bindemittel umwandeln – eine Art natürlichen Zement“, konstatiert Loria. Praktisch auch: Der Prozess ist leicht umkehrbar: Kehrt man die Polung um, lösen sich die ausgefällten Minerale mit der Zeit wieder. Die Methode lässt sich zudem einsetzen, um Risse und Brüche in Betonstrukturen und anderen schon existierenden, vom Meerwasser umspülten Küstenschutzbauten aufzufüllen.

“ Anwendungen für diesen Ansatz gibt es unzählige“, betont Lotta Loria. „Wir können ihn verwenden, um den Meeresgrund unter bestehenden Seewällen zu verstärken, um Dünen zu stabilisieren oder instabile Küstenhänge zu verfestigen.“ Aber auch andere Küstenschutzbauten oder die Fundamente von im Meer stehenden Anlagen könnten damit stabilisiert werden. „Es gibt viele Möglichkeiten, diese Methode für den Küstenschutz einzusetzen“, so der Forscher.

Ökologisch nachhaltig und günstig

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte dieses einfache und günstige Verfahren daher den Küstenschutz signifikant erleichtern – und vielleicht sogar revolutionieren. Ihren Berechnungen zufolge würde die Verfestigung eines Kubikmeters Meeresgrund oder Strand nur rund drei bis sechs US-Dollar kosten. Bisher gängige Methoden wie die Injektion von synthetischen Bindemitteln kosten hingegen rund 70 US-Dollar für das gleiche Volumen, wie das Team berichtet.

Ein weiterer Vorteil: Die Vor-Ort-Verfestigung erfordert keine großen Baumaßnahmen oder Hochdruck-Kompressoren, die die marine Lebenswelt beeinträchtigen oder sogar zerstören. Nötig sind nur dünne Elektroden, die in den Meeresboden führen. Die abgegebene Spannung sei zudem so schwach, dass sie selbst für kleinere Meerestiere keine Gefahr darstelle. „Die Elektrodeposition hat daher signifikantes Potenzial, marine Untergründe auf nachhaltige Weise zu stabilisieren“, so Loria und seine Kollegen.

Das Team plant nun als nächstes Tests in größerem Maßstab am Meeresstrand. (Communications Earth & Environment, 2024; doi: 10.1038/s43247-024-01604-3)

Quelle: Northwestern University

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