Klima

Längstes Klimaarchiv der Arktis geborgen

Bohrkerne dokumentieren Klima- und Umweltgeschichte der letzten 3,6 Millionen Jahre

Damit das Bohrcamp auf dem Elgygytgyn-See aufgebaut werden konnte musste die Eisdecke des Sees künstlich von 50 cm auf zwei Meter verdickt werden. Im Vordergrund sieht man eine Schneeformation, die vom eisigen Polarwind geformt wurde. © Kristina Brady

In den vergangenen sechs Monaten hat ein internationales Wissenschaftlerteam bei Tiefbohrungen im äußersten Nordosten Russlands uralte Sedimente aus dem Elgygytgynsee und dauerhaft gefrorenen Boden geborgen. Die ersten Untersuchungen sind vielversprechend: Die Bohrkerne enthüllen nicht nur frühere Seespiegelschwankungen, sie erlauben auch einen Blick zurück in die Klima- und Umweltgeschichte der Arktis in den letzten 3,6 Millionen Jahren.

Am äußersten Rand Nordostsibiriens, rund 900 Kilometer westlich der Beringstraße und 100 Kilometer nördlich des arktischen Polarkreises liegt der Elgygytgynsee, der vor 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag entstand. Der See ist im Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten dieser Breitengrade nie vergletschert gewesen – seine kontinuierlich am Grund des Sees abgelagerten Sedimente stellen somit ein unschätzbares Klimaarchiv der Arktis dar.

Internationale Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben sich zum Ziel gesetzt, dieses Archiv zu bergen. Nach einer Vorbereitungsdauer von elf Jahren begann Ende 2008 eine groß angelegte Tiefbohrkampagne. Die für die Seebohrungen eingesetzte Bohrtechnik wiegt circa 70 Tonnen, eine große Herausforderung für die sichere Positionierung auf dem Seeeis.

Grisha Federov vom Partner-Institut AARI St. Petersburg untersucht einen Kern, der während der Permafrostbohrungen unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts im November 2008 am Ufer des Elgygytgyn-Sees erbohrt wurde. © Alfred-Wegener-Institut

Spurensuche im Permafrost

Ende vergangenen Jahres wurden zunächst mit Hilfe einer russischen Bohrfirma aus dem 260 Kilometer entfernten Pewek Permafrostbohrungen durchgeführt. Die Ergebnisse können sich nach Ansicht der Wissenschaftler um Martin Melles von der Universität zu Köln, Projektleiter des El’gygytgyn Drilling Projects auf deutscher Seite, sehen lassen: Trotz starker Schneestürme und tiefer Temperaturen erreichte das Team eine Bohrtiefe von 142 Metern. Die erbohrten Kerne enthalten Informationen zur Geschichte des Permafrostes und dessen Einfluss auf die Seesedimentation.

„Man kann an den Bohrkernen auch Seespiegelschwankungen ablesen“, so Georg Schwamborn von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts, der die Permafrostbohrungen leitete. Von großer Bedeutung ist auch die Installation einer Temperaturmesskette in dem Bohrloch durch die Wissenschaftler aus Potsdam. Sie dokumentiert die aktuell stattfindenden Veränderungen im Permafrostboden. Deren Verständnis ist für die Klimaforschung von hohem Wert, da eine Freisetzung der im Permafrost gebundenen Gase beim Auftauen den Treibhauseffekt weiter verstärken könnte.

Erfolgreiche Seebohrungen

Die gerade abgeschlossenen Seebohrungen sind nach Angaben der Forscher nicht minder erfolgreich verlaufen: Bis in insgesamt 315 Metern unter dem Seeboden wurden Seesedimente erbohrt, davon die obersten 110 Meter überlappend, um die beim ersten Bohren verbliebenen Lücken im Archiv zu schließen. Erste Ergebnisse deuten an, dass in den Bohrkernen die Klima- und Umweltgeschichte der vergangenen 3,6 Millionen Jahre weitestgehend dokumentiert ist. Es handelt sich dabei um das längste Klimaarchiv der terrestrischen Arktis. Messungen der magnetischen Eigenschaften im oberen Teil der Sedimentabfolge zeigen zahlreiche Warm- und Kaltzeiten, mit unterschiedlichen Intensitäten und Ausprägungen.

„Aus detaillierten Untersuchungen der Übergänge von Kalt- zu Warmzeiten können wir lernen, wie die Arktis auf Klimaerwärmungen in der Vergangenheit reagiert hat, und damit prognostizieren, wie sie in Zukunft reagieren wird“, erläutert Catalina Gebhardt vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Mit den tiefsten Seesedimentkernen sind die Forscher dagegen bis in die Zeit des Pliozäns, vor mehr als 2,6 Millionen Jahren vorgestoßen. „Diese Sedimente sind von besonderer Bedeutung, da das Klima zur damaligen Zeit deutlich wärmer war als heute“, sagt Melles. „Damit können die Erkenntnisse aus diesen Sedimenten als Modellfall für die Arktis in einigen Jahrzehnten dienen, wenn dort die besonders starke Klimaerwärmung, wie von Klimamodellen vorhergesagt, stattfinden wird.“

Außer dem Bohrzelt befanden sich auf der Eisfläche des gefrorenen Elgygytgynsees auch immer ein geheizter Container für Ruhepausen und ein Fahrzeug für Notfälle. Das Basis-Camp lag sieben Kilometer entfernt am Seeufer. Das rote Band im Hintergrund ist ein Schneeschutz, der das Bohrcamp vor Schneeverwehungen schützen sollte. © Kristina Brady

Trümmergestein im Seeboden

Wichtiges Ziel der Seebohrungen war auch die Erbohrung der Impaktbrekzie. Dieses beim Meteoriteneinschlag entstandene Trümmergestein wurde ab 315 Metern unterhalb des Seebodens angetroffen. Die mit Bohrungen bis 200 Meter in die Brekzie gewonnenen Kerne sind von unschätzbarem Wert.

„Wir erwarten neue Erkenntnisse nicht nur zur Flugbahn und Zusammensetzung des Meteoriten, sondern insbesondere auch zu Reaktionen der dort verbreiteten vulkanischen Gesteine auf den Einschlag“, so Christian Koeberl von der Universität Wien, der die Bearbeitung der Impaktgesteine durch ein internationales Team koordiniert. Die Erkenntnisse dienen der Risikoabschätzung in anderen Gebieten mit entsprechenden Gesteinsformationen.

3,5 Tonnen Sedimentkerne

Die nahezu 3,5 Tonnen Kerne, die 2009 erbohrt wurden, werden Anfang Juni zunächst zum russischen Arktis- und Antarktisforschungsinstitut (AARI) nach St. Petersburg gebracht. Von dort aus werden die Kerne aus der gesamten Bohrkampagne nach Deutschland transportiert: die Permafrostkerne an das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, die Seesedimente an die Universität zu Köln und die Impaktbrekzie nach Potsdam zum ICDP.

In den kommenden zwei Jahren finden dann die Auswertungen statt. Insgesamt werden bis zu 30 Gastwissenschaftler neben den deutschen Forschern und zahlreicher Studenten an den Kernen arbeiten.

(idw – Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 03.06.2009 – DLO)

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