Die Wahl der Teilchensorte hängt dabei entscheidend von der Fragestellung ab. Das Team von Schätz befasst sich unter anderem mit den Quanteneigenschaften magnetischer Stoffe. Magnetismus in Festkörpern ist darauf zurückzuführen, dass die einzelnen Atome einen Eigendrehimpuls, einen so genannten Spin besitzen.
Die Wechselwirkung zwischen je zwei benachbarten Spins führt, in Abhängigkeit von äußeren Randbedingungen, zu ihrer parallelen oder antiparallelen Ausrichtung und damit zum Beispiel zu ferromagnetischen bzw. antiferromagnetischen – hier sogar, bei einer ungeraden Anzahl von Spins, zu so genannten „frustrierten“ – Zuständen. Die Erforschung der Quantendynamik dieser Zustände könnte unter anderem zu einem besseren Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung beitragen.
Experimentelle Quantensimulationen
Für die analoge Simulation der Spin-Spin-Wechselwirkung und der aus ihr folgenden Eigenschaften eignen sich den Wissenschaftlern zufolge Ionen weit besser als neutrale Atome, da die zwischen ihren Ladungen wirkende Coulomb-Kraft um ein Vielfaches stärker ist als die Wechselwirkung zwischen benachbarten Atomen in einem optischen Gitter. Experimentelle Quantensimulationen könnten deshalb mit Ionen in wesentlich kürzerer Zeit als mit neutralen Atomen durchgeführt werden, wodurch der Einfluss externer Störfelder entscheidend reduziert würde.
Aufgrund ihrer elektrischen Ladung lassen sich Ionen auch leicht durch elektromagnetische Felder beeinflussen. Deshalb bedienen sich Wissenschaftler schon seit mehr als 60 Jahren der Methode, Ionen mit Wechselfeldern im Radiofrequenzbereich einzufangen, und mittlerweile erreichen sie hierbei Speicherzeiten von bis zu mehreren Monaten. Experimentelle Quantensimulationen mit einigen Ionen in einer Radiofrequenzfalle lassen sich aber nur schwer zu großen Systemen ausbauen. Warum hat man also nicht schon längst versucht, optische Gitter auch für die Speicherung von Ionen einzusetzen?
Störfelder durch „Gegenfelder“ kompensiert
„Gegen optische Felder spricht zunächst, dass sie bei weitem nicht so tiefe ‚Speichertöpfe‘ erlauben wie Radiofrequenz-Wechselfelder. Gleichzeitig reagieren Ionen aufgrund ihrer elektrischen Ladung extrem empfindlich auf äußere Störfelder“, erläutert Schätz. „Dies führte zu dem Vorurteil, dass optische Potentiale zu flach und damit ungeeignet seien. Wir konnten aber experimentell zeigen, dass sich auch Ionen effektiv durch die Wechselwirkung mit Licht einfangen lassen.“
In ihrem Experiment kühlten die Wissenschaftler zunächst ein positiv geladenes Magnesium-Ion in einer Radiofrequenzfalle auf circa ein Tausendstel Grad oberhalb des absoluten Temperatur-Nullpunkts ab. Dann wurden den Wissenschaftlern zufolge externe Störfelder durch geeignete „Gegenfelder“ kompensiert.
Jetzt erst wird dem Ion ein stark fokussierter Laserstrahl überlagert und das Radiofrequenzfeld abgeschaltet. Die Messungen der Forscher ergaben, dass das Ion so mehrere Millisekunden lang von dem Lichtstrahl festgehalten wurde und damit trotz der geringen Tiefe des Speichertopfs mehrere hundert Mal darin hin und her schwingen konnte.
Völlig neue experimentelle Perspektiven
Schätz ist von diesem Paradigmenwechsel nicht besonders überrascht. „Im Grunde genommen basieren Radiofrequenz- und optische Fallen auf dem gleichen Prinzip“, erläutert er. „In beiden Fällen werden die Teilchen durch ein schnell wechselndes elektromagnetisches Feld gespeichert.“ Die Speicherzeit ist derzeit lediglich dadurch begrenzt, dass das Ion von dem optischen Feld aufgeheizt wird. Sie kann daher mit gängigen Verfahren erheblich gesteigert werden.
Gelingt es, das hier gezeigte Prinzip der optischen Speicherung auf eine Vielzahl von Ionen in einem optischen Gitter auszudehnen, dann ergeben sich nach Angaben der Forscher völlig neue experimentelle Perspektiven. Man könnte beispielsweise nicht nur komplexe Spin-Systeme simulieren, sondern auch hybride Systeme kreieren, bei denen Ionen und Atome in einem gemeinsamen Gitter eingebettet sind und sich die elektrischen Überschussladungen gewissermaßen teilen.
Forscher wollen chemische Reaktionen bei extrem tiefen Temperaturen untersuchen
Es ergeben sich nach Aussagen der Wissenschaftler aber auch interessante Möglichkeiten, chemische Reaktionen bei extrem tiefen Temperaturen zu untersuchen. Bettet man etwa ein einzelnes Ion in ein kaltes atomares Quantengas – ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat – innerhalb einer gemeinsamen optischen Falle, dann könnten die Teilchen aufgrund ihrer geringen Bewegung so viel Zeit miteinander verbringen, dass neuartige chemische Prozesse durch quantenmechanisches Tunneln möglich werden.
Das hier beschriebene Experiment stellt also den Beginn einer neuen Generation von Quantensimulationen und einer neuen Ära der Ultrakalten Chemie dar, so die Forscher in Nature Photonics.
(Max-Planck-Institut für Quantenoptik, 25.10.2010 – DLO)
25. Oktober 2010