Physiker des Max-Born-Instituts wollen ein Gerät entwickeln, mit dem sie Synchrotronstrahlung in ganz kurze Lichtblitze zerlegen können. Ziel ist es, damit bisher nicht für möglich gehaltene Einblicke in die Natur der Materie zu erhalten.
„Dann schau’n wir uns die Elektronen an.“ Aus dem Mund des Münchner Physikers Martin Weinelt klingt das wie eine Selbstverständlichkeit. Doch in Wirklichkeit beschreibt der Professor am Max-Born-Institut mit dem lapidaren Satz einen Gang an die Grenzen der bisherigen Experimentalphysik. Denn Elektronen kann man nicht sehen, ihr Verhalten lässt sich nur mit Wahrscheinlichkeiten beschreiben, aber nicht im Einzelnen nachverfolgen.
Und doch untersuchen Weinelt und seine Kollegen am MBI einzelne Elektronen. Sie beschießen dazu Edelgase mit kurzen, hochenergetischen Laserblitzen und beschleunigen Atome darin so stark, dass Elektronen aus der Bahn geraten. Die Energie ist so dosiert, dass die Elektronen wieder in ihre Bahnen zurückkehren – würden sie fortgerissen, so würde das Atom zu einem Ion, das Gas wäre ionisiert.
Fallen die Elektronen dagegen in ihr ursprüngliches Energieniveau zurück, senden sie ein Photon aus. „Wir benutzen diese Photonen, um damit andere Elektronen zu untersuchen“, sagt Weinelt. Lichtteilchen und Elektron beeinflussen sich gegenseitig, sie interagieren – wie, das lässt sich mit der so genannten Photoelektronen-Spektroskopie messen.
Wie schnell wird eine Festplatte beschrieben?
Mit einem einzigen „Schuss“ aus dem Laser würden die Forscher eine Momentaufnahme erhalten. Der Clou ist es nun, möglichst viele extrem kurze Pulse rasch hintereinander abzufeuern, um daraus eine Art Film mit vielen Bildern herzustellen. Auf diese Weise erhalten die Forscher Einblicke in Elektronenbewegungen. Ihre Erkenntnisse sind beispielsweise für die Dynamik von chemischen Reaktionen entscheidend, aber auch für ultraschnelle Magnetisierungsprozesse. „Wir wollen herausfinden, wie schnell eine Festplatte beschrieben werden kann“, sagt Weinelt.
Zusammen mit Kollegen aus dem MBI und dem benachbarten Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung BESSY will der Forscher nun die Grenzen der Kurzzeitphysik weiter ausdehnen – noch heller und farbiger soll das Licht werden, mit dem Forscher ihre Proben untersuchen, und zugleich soll sich die Pulsdauer nicht verlängern. Das Projekt erhielt im Rahmen des Wettbewerbs um die Mittel aus dem Pakt für Innovation eine Förderzusage. Das beantragte Gesamtvolumen beläuft sich auf 1,2 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren.
Elektronenpakete werden in hauchdünne Scheiben geschnitten
Endziel ist ein Gerät zur Photoelektronen-Spektroskopie, das bei BESSY stehen wird und dort die hochbrillante Synchrotronstrahlung in ganz kurze Lichtblitze zerlegt. Wie geht das? Weinelt: „Ein Teil des Projektes besteht darin, einen unserer Kurzpuls-Laser mit dem Elektronenstrahl von BESSY so zu synchronisieren, dass aus den im Kreis herumsausenden Elektronenpaketen eine hauchdünne Scheibe herausgeschnitten wird.“
Die Länge der Pakete bemisst sich nach der Zeit, die sie brauchen, um einen Punkt zu passieren. Sie liegt bei 50 Pikosekunden, das sind 50 Millionstel Millionstel Sekunden. Mit Lichtgeschwindigkeit kommen die Elektronen in dieser Zeit eineinhalb Zentimeter weit. Aus so einem daumennagel-langen Elektronenpaket schneiden die Forscher mithilfe von Ablenkmagneten eine Scheibe heraus, die nicht dicker ist als ein menschliches Haar – 0,03 Millimeter. In Zeit ausgedrückt: Der Puls ist 100 Femtosekunden kurz, also 100 Milliardstel Millionstel Sekunden und verhält sich damit zu einer Minute in etwa so wie zehn Minuten zum Alter des Universums.
Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler am Max-Born-Institut mit ihren Lasern selbst kurzwelliges Licht erzeugen – im Bereich von VUV- und Röntgenstrahlen. VUV steht für Vakuumultraviolett. Das erzeugte Licht hat Wellenlängen zwischen zehn und 100 Nanometern. Was ist der Vorteil dieser kurzen Wellenlängen? „Je kürzer die Wellenlänge“, sagt Weinelt, „desto mehr Energie steckt im einzelnen Lichtteilchen und desto tiefer können wir in die Atome hineinschauen.“
Lichtteilchen nicht exakt im Gleichklang
Das MBI und BESSY ergänzen sich dabei in idealer Weise. Die Wissenschaftler des Max-Born-Instituts bringen die Expertise zur Erzeugung ultrakurzer Lichtimpulse mit, überdies verfügen sie bereits über eine einzigartige Quelle für inkohärente Röntgenstrahlen.
Inkohärent bedeutet, dass nicht alle Lichtteilchen exakt im Gleichklang schwingen; Licht einer Glühlampe ist zum Beispiel inkohärent. Die BESSY-Forscher dagegen haben große Erfahrung mit hochbrillantem Licht und mit den Geräten, die diese Strahlung aushalten müssen. Außerdem verfügen sie über das Know-how, das Licht so zu verändern, dass es zum Durchleuchten der Atome nutzbar wird. „Man könnte auch einfarbig oder monochrom sagen“, erläutert Weinelt. Die Maschinen dazu heißen dementsprechend Monochromatoren.
Erfahrung sammeln für das Lichtmonster
Am Ende soll eine Anlage entstehen, so groß wie ein Kleinlaster, die es den Forschern erlaubt, bisher nicht für möglich gehaltene Einblicke in die Materie zu erhalten. „Unser Konzept sieht ausdrücklich vor, dass wir auch externen Nutzern zur Verfügung stehen“, sagt Weinelt.
„Bei uns können und sollen also Forscher aus aller Welt Experimente durchführen.“ Solche Experimente werden in Zukunft am Freie-Elektronen-Laser in Hamburg und, so hofft Weinelt, auch an einer weiterentwickelten Version in Berlin bei BESSY stattfinden. Der Laser in Hamburg, eben erst wurde der Bau beschlossen, wird ein wahres Lichtmonster sein und das, was derzeit bei BESSY und am MBI passiert, in den Schatten stellen. Umso wichtiger ist es, jetzt schon Erfahrungen mit solchen Strahlen zu sammeln. Weinelt: „Wir bereiten die jungen Wissenschaftler von heute auf die Fragestellungen und Experimente von morgen vor.“
(Max-Born-Institut, 20.12.2005 – DLO)