Der Theorie nach sind die Atomkerne einer bestimmten Anzahl von Protonen und Neutronen besonders stabil. Doch es gibt auch Ausreißer, die so genannten Inseln der Inversion. Dazu gehört auch das neutronenreiche Isotop Magnesium-32. Bei diesem haben Physiker nun die nach gängiger Lehrmeinung typische kugelige Form erstmals nachgewiesen – aber bei überraschend niedriger Energie. Genau dies wirft jetzt einige der etablierten Vorstellungen über die Staffelung der Atomkerne wieder über den Haufen, wie die Forscher in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ berichten.
Alle chemischen Elemente, die wir auf der Erde kennen, stammen aus dem Weltall. Die häufigsten Elemente im Universum, Wasserstoff und Helium, bildeten sich bereits kurz nach dem Urknall. Andere Elemente wie Kohlenstoff oder Sauerstoff entstehen erst später durch die Fusion von Atomkernen im Inneren von Sternen. Elemente, die schwerer sind als Eisen verdanken ihre Existenz gigantischen Sternexplosionen, auch Supernovae genannt. Dazu zählen beispielsweise die Edelmetalle Gold und Silber oder das radioaktive Uran.
„Inseln der Inversion“ in Atomkernreihung
In der Hexenküche einer Supernova entstehen eine Vielzahl massereicher Atomkerne, die über verschiedene kurzlebige Zwischenstadien zu stabilen Elementen zerfallen. Analog zum Schalenmodell der Elektronen haben die Kernphysiker ein Modell entwickelt, das für bestimmte Neutronen- und Protonenzahlen eine besondere Stabilität voraussagt. Dies sind die „magischen Zahlen“. Bei ihnen ist eine Schale voll besetzt, der Kern nahe an der idealen Kugelform.
Doch es gibt auch stabile Atomkerne, die von der erwarteten Schalenstruktur abweichen. Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Physikern der TU München hat sich Kerne in einem Bereich mit der magischen Neutronenzahl 20, der „Insel der Inversion“ genannt wird, nun genauer angesehen. Messungen am Instrument REX-ISOLDE, einem Beschleuniger für radioaktive Ionenstrahlen am CERN, führten dabei zu überraschenden Resultaten.
Magnesium-32-Kern: kugelig oder eiförmig?
In ihrem Experiment untersuchten die Wissenschaftler das neutronenreiche Isotop Magnesium-32, indem sie einen Magnesium-30-Strahl auf eine Titanfolie schossen, die mit Tritium, schwerem Wasserstoff, beladen war. In einer so genannten Paartransferreaktion wurden zwei Neutronen vom Tritium abgestreift und auf den Magnesium-Kern übertragen, der sich damit in Magnesium-32 umwandelte. Eigentlich sollte das neutronenreiche Isotop Magnesium-32, dessen Kern aus 20 Neutronen und 12 Protonen besteht, „magisch“ sein und damit eine sphärische Form aufweisen. Doch der niedrigste Energiezustand im Magnesium-32 ist nicht kugelförmig, sondern deformiert. Der Kern hat eher die Form eines American Footballs.
Die sphärische Konfiguration sollte erst bei hohen Anregungsenergien entstehen. Jetzt jedoch konnten die Forscher erstmals die Existenz auch eines kugelförmigen Magnesium-32-Kerns nachweisen – aber schon bei viel niedrigerer Energie als theoretisch vorhergesagt. Damit stellt dieses Ergebnis die theoretischen Modelle zur Beschreibung der Veränderung der Schalenstruktur in dieser und anderen Regionen der Nuklidkarte teilweise wieder infrage.
Nachweis wirft neue Fragen auf
„Die Freude war groß, dass es uns endlich gelungen ist, auch die sphärische Form des Magnesium-32-Kerns nachweisen zu können“, erklärt Professor Krücken, Inhaber des Lehrstuhls für Physik der Hadronen und Kerne an der TU München. „Doch diese Erkenntnisse stellen uns Physiker auch gleich wieder vor neue Herausforderungen. Um den genauen Verlauf der Elementsynthese in Sternexplosionen vorherzusagen, müssen wir den Mechanismus genauer verstehen, der die veränderte Schalenstruktur herbeiführt.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es noch vieler weiterer Experimente bedarf, um die Abläufe rund um die mysteriösen Inseln der Inversion und neue magische Zahlen widerspruchsfrei beschreiben zu können. (Physical Review Letters, 2010; DOI: 10.1103/PhysRevLett.105.252501)
(Technische Universität München, 02.02.2011 – NPO)